Thursday Next 04 - Es ist was Faul
groß, aber längst nicht so groß, um einen ausgewachsenen Gorilla darin zu verstecken. Ich trat ein und sah, dass die Terrassentür offen stand. »Ich muss mich wohl getäuscht haben. Ein Lichtreflex oder dergleichen.«
»Ein Lichtreflex?«
»Ja. Entschuldige bitte.« Ich schloss die Terrassentür und erstarrte, als ich Melanie sah, die sich auf Zehenspitzen über den Rasen davonzustehlen versuchte und vom Küchenfenster aus deutlich zu sehen sein musste.
»Was für ein Lichtreflex?«
»Ich … weiß auch nicht genau«, stammelte ich. »Hast du hier neue Vorhänge drin? Die sehen irgendwie anders aus.«
»Nein. Warum hast du verhindern wollen, dass ich ins Wohnzimmer schaue?«
»Weil … weil … ich Mrs Beatty gebeten hatte, sich um Friday zu kümmern, und ich wusste, dass du das nicht billigen würdest. Aber jetzt ist sie ja weg, und alles ist wieder in Ordnung.«
»Ach so!«, sagte meine Mutter. Endlich war sie zufrieden.
Ich atmete erleichtert auf. Es war noch einmal gut gegangen.
»Du meine Güte«, sagte Hamlet. »Ist das nicht ein Gorilla in Ihrem Garten?« Er zeigte mit dem Finger auf Melanie, die gerade über die Dahlien hinwegstieg.
Alle Augen richteten sich auf den Garten. Melanie hielt inne und winkte verlegen.
»Ein Gorilla? Wieso? Alles, was ich sehe, ist eine stark behaarte Dame, die sich auf Zehenspitzen durch meine Dahlien schleicht«, sagte meine Mutter.
»Das ist Mrs Bradshaw«, murmelte ich und warf Hamlet einen wütenden Blick zu. »Eine alte Bekannte.«
»Ja, dann sei doch nicht so unhöflich, Thursday. Lass sie nicht im Garten herumwandern, sondern bitte die Dame herein.«
Meine Mutter stellte ihre Einkäufe ab und füllte den Teekessel. »Die arme Mrs Bradshaw muss uns ja für schrecklich ungastlich halten. Meinst du, sie mag ein Stück Battenberg?«
Hamlet und Emma starrten mich ungläubig an. Ich zuckte die Achseln, bat Melanie herein und stellte sie meiner Mutter vor.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Melanie. »Sie haben ein reizendes Enkelkind.«
»Vielen Dank«, sagte meine Mutter, als sei das ihre ganz persönliche Leistung. »Ich tue mein Bestes.«
»Ich komme gerade aus Trafalgar«, sagte ich und drehte mich zu Lady Hamilton um. »Meinem Vater ist es gelungen, Ihren Ehemann zu reaktivieren. Morgen früh um halb neun wird er Sie abholen und zu Lord Nelson zurückbringen.«
»Oh!«, sagte Emma mit weitaus weniger Begeisterung, als ich gehofft hatte. »Das ist … eine sehr gute Nachricht.«
»Ja«, sagte Hamlet betrübt. »Eine sehr gute Nachricht.«
Sie sahen sich traurig an.
»Dann werd ich mal besser packen gehen«, sagte Emma.
»Ja«, sagte Hamlet. »Darf ich dir helfen?«
Damit verließen sie beide die Küche.
»Was haben die beiden denn?«, fragte Melanie. Sie nahm sich ein Stück von dem angebotenen Kuchen und setzte sich auf einen Stuhl, der laut ächzte.
»Liebeskummer«, erklärte ich, und das traf wohl auch zu.
»Also, Mrs Bradshaw«, sagte meine Mutter geschäftstüchtig, »ich habe da etwas für Sie. Ich bin seit neuestem Beraterin für einige Schönheitsprodukte, und in unserem Angebot gibt es ein Depilationsmittel, das würde Sie sicher beeindrucken.«
»Ooh!«, sagte Melanie und beugte sich neugierig über den Tisch. In den
Commander-Bradshaw-
Romanen gab es keine Kosmetikerinnen, und dass sie ein gewisses Problem mit Gesichts- und Körperbehaarung hatte, ließ sich ja beim besten Willen nicht leugnen. Wahrscheinlich würde ihr meine Mutter am Ende auch noch einen Satz Tupperware verkaufen.
Ich ging nach oben, wo Hamlet und Emma sich heftig stritten. Sie wiederholte immer wieder, dass ihr »lieber Admiral« sie dringend brauche, und er bat sie inständig, mit ihm nach Helsingör zu kommen, und »zur Hölle mit der faden Ophelia«. Emma sagte, das ließe sich so nicht machen, und dann hielt Hamlet einen endlosen, unverständlichen Monolog, der, glaube ich, besagte, dass er es sehr bedauerte, sein Stück je verlassen zu haben, wo Ophelia wahrscheinlich gleich etwas mit Horatio angefangen hätte, kaum dass er, Hamlet, ihnen den Rücken gekehrt hatte. Und irgendwie sei in der wirklichen Welt alles so schwierig und ungeschickt.
Diese Einlassungen verwirrten Emma, weil sie glaubte, Hamlet rede nicht von seinem, sondern von
ihrem
Horatio. Erst als der Dänenprinz ihr erklärte, dass er seinen Studienfreund Horatio aus Wittenberg meine, beruhigte sie sich und überraschte ihn mit der Mitteilung, dass sie sehr gern mit ihm nach Helsingör
Weitere Kostenlose Bücher