Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
die Stirn, als hätte sie damit ein besonders strenges Tabu berührt. »Das kann ich dir nicht erklären, Mond. Es ist zu kompliziert.«
»Aber das ist nicht richtig. Sie sagten, daß Sibyllen lebenswichtig sind – sie vollbringen auf jeder Welt nur Gutes.« Plötzlich erkannte sie, was das über die Absichten der Hegemonie enthüllte, erkannte gleichzeitig, wie viel mehr als nur das, was man ihr auf Tiamat beigebracht hatte, sie hier gelehrt worden war.
Aspundhs Mienenspiel verdeutlichte, daß er es auch erkannte und bedauerte, da er es nun nicht mehr ändern konnte. »Ich kann nur hoffen, meiner eigenen Welt keinen größeren Schaden zugefügt zu haben.« Er wandte sich ab. »Zurückkehren mußt du nach Tiamat. Doch beten muß ich, daß es keinen größeren Schaden für Kharemough bringt.«
Darauf wußte sie keine Antwort.
Sie verließen den wohlriechenden Pfad durch die Silipha und wandten sich dem Labyrinth der Sträucher zu, bis der marmorne Schrein im pastellfarbenen Licht des Mondes vor ihnen auftauchte. Aspundh ging weiter ins Innere, während Mond sich uf eine klamme Marmorbank setzte, um auf ihn zu warten. Der kühle Wind wehte seltsame Gerüche zu ihr herüber. Sie fragte sich, was für Gebete KR Aspundh wohl heute an seine Ahnen richten mochte.
Vögel, deren Gefieder am Tage bunt und prächtig war, flogen pastellfarben und grau in ihren Schoß und zwitscherten leise. Sie streichelte ihr Gefieder und erinnerte sich daran, daß es heute das letztemal war. Morgen würde es keine friedlichen Gärten mehr geben, nur noch die Schwarze Pforte ... Sie rieb sich die Arme, denn plötzlich spürte sie doch die Kühle der Nacht.
21
»Bürger, was tun Sie in meinem Büro?« Jerusha überblickte die Flut offizieller Ablehnungen, die von ihrem Terminal ausgespuckt wurden und sich mittlerweile bis zum Rand ihres Schreibtischs erstreckten.
»Man wies mich an, hierher zu kommen. Wegen meiner Bewilligung.« Der Ladenbesitzer zupfte an seinen Gewändern, halb unsicher und halb trotzig. »Man sagte mir, Sie würden mir sagen können, warum ich bisher nichts gehör ...
»Ja, das weiß ich. Und das könnte jeder Streifenbeamte mit einem halben Hirn für Sie heraussuchen!«
Götter, wenn ich doch nur einen Tag verbringen dürfte, ohne brüllen zu müssen ... nur eine Stunde.
Sie fuhr mit den Fingern durch ihre schwarzroten Lokken. »Wer, zum Teufel, hat Sie hergeschickt?«
»Inspektor Man ...«
»... tagnes. Nun, da hat er Sie an den Falschen verwiesen. Gehen Sie raus zum vordersten Pult und melden Sie dem diensthabenden Offizier Ihr Anliegen!«
»Aber
der
sagte ... «
»Dann lassen Sie sich eben diesmal nicht mit einem
Nein
abspeisen!« Sie winkte ihn zur Tür und hatte sich auch schon wieder dem halbgelesenen Bericht zugewandt, der noch auf dem Bildschirm wartete. Sie tastete nach dem Interkomknopf. »Sergeant, wecken Sie ihr Gehirn auf und lassen Sie nicht jeden Idioten hier rein! Was glauben Sie eigentlich, wozu Sie da sind?«
»Verdammte Art, eine Welt zu verwalten, verflucht ... « Doch die ins Schloß fallende Tür schnitt die Schimpftirade des Händlers ab.
»Tut mir leid, Kommandant«, sagte die düstere und körperlose Stimme des Sergeanten. »Soll ich den nächsten reinschicken?«
»Ja.«
Nein, nein, nein, nein, keinen mehr!
»Und holen Sie mir Mantag ... Nein, vergessen Sie das.« Sie ließ den Lautsprecherknopf los. Sie hätte Mantagnes auf der Stelle seiner Verantwortung entheben können, aber dann hätte sie offene Feindschaft im eigenen Lager gehabt, nicht nur offene Ablehnung. In den Jahren, seit sie Kommandantin geworden war, hatte sich ihre Position nur noch zum Schlechteren verändert.
Und er weiß es. Er weiß es, der Bastard ...
Sie betrachtete den ausgedruckten Bericht, ohne ihren Blick darauf konzentrieren zu können. Schon vor Monaten war ihr Hauptcomputer vorübergehend zusammengebrochen und hatte damit ihre gesamten Aufzeichnungen ins Chaos gestürzt. Heute funktionierte er kaum mit halber Kraft, denn nicht einmal die Experten von Kharemough hatten ihn reparieren können, weil ihnen irgendwie die kritischen Komponenten fehlten ... Monatelang hatte sie versucht, ihre Aufzeichnungen wieder in Ordnung zu bringen, wie sie eine Stunde lang versuchte, diesen Bericht durchzulesen, immer minutenweise, ohne Ergebnis. Sie drückte GENEHMIGT und ließ ihn ungelesen passieren.
Ohne Ergebnis. Zurück, lebendig begraben ...
Sie wühlte in ihrem Schreibtisch nach einem Röllchen voller
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