Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Monds Hand, dann sah sie wieder weg. »Vergiß es. Es spielt keine Rolle. Vergiß es.« Sie ging ohne sich umzudrehen zur Tür, daher konnte sie Monds ausgestreckte Hand auch nicht sehen. Silky folgte ihr wortlos.
»Nun«, meinte Cress und grinste unbehaglich halb zu ihr hin, halb den Kopf gesenkt. »Viel Glück, junges Fräulein. ›Du könntest Königin sein.‹ Ich werde allen erzählen, daß ich dich kannte, wenn du es bist.« Endlich konnte er ihrem Blick standhalten. Ich hoffe, du wirst ihn finden.« Er entfernte sich, schließlich drehte er sich um und folgte den anderen.
Mond betrachtete die verlassene Toröffnung lange, doch sie blieb verlassen.
Mond saß allein auf einer Schaukel im Garten, die sie mit dauernden Fußtritten in Bewegung hielt. Über ihr sang der Nachthimmel, hundert verschiedene Farbchöre verschmolzen zu einem. Mond legte den Kopf auf ein Kissen und lauschte mit den Augen. Wenn sie sie schloß, konnte sie ein anderes Lied hören, die bezaubernde Komplexität eines Kharemoughiliedes, das aus dem Inneren auf den Dachgarten herausdrang, zirpende Insekten in den Sträuchern kontrapunktierten die Melodie, schrille und gutturale Schreie einer seltsamen Menagerie von Geschöpfen, die auf ihren geheimen Pfaden durch den Garten strichen.
Diesen Tag hatte sie wie alle anderen auch verbracht, indem sie die Übungen praktiziert hatte, die Körper und Geist disziplinieren sollten, indem sie die Informationsbänder betrachtete, die KR Aspundh ihr gab, und die ihr alles beibrachten, was man innerhalb der Hegemonie über Sibyllen wußte, was sie waren, taten, und natürlich, was sie den Bewohnern ihrer Heimatwelten bedeuteten. Die Sibyllen dieser Welt besuchten eine formelle Schule, wo sie geborgen und behütet waren, während sie ihre Trance zu kontrollieren lernten – was sie, etwas unsicherer, auf einer einsamen Insel unter freiem Himmel von Clavally und Danaquil Lu gelernt hatte.
Doch neben der rigorosen grundlegenden Disziplin lernten Aspundh und die anderen Sibyllen der Hegemonie auch noch etwas über das komplexe Netz, zu dem auch sie gehörten, den weitreichenden Bannspruch des Alten Imperiums gegen die hereinbrechende Dunkelheit. Sie wußten, daß dieser Ort des Nichts innerhalb einer Maschine war, die sich auf einer Welt befand, deren Namen auch keine Sibylle kannte, und dieses Wissen gab ihnen die Kraft, die schreckliche
Abwesenheit
zu ertragen, die sie durch ihre eigene Furcht fast vernichtet hatte.
Sie lernten die wahre Natur ihrer Macht: die Kapazität, die täglichen Bürden des Lebens nicht nur zu erleichtern, sondern es sogar noch zu verbessern, sie konnten Profunderes als das größte Genie zum sozialen und kulturellen Wachstum ihrer Welt beitragen, denn sie hatten Zugang zum gesammelten Genie der ganzen menschlichen Geschichte – wenn ihre Völker nur das Wissen und die Bereitschaft hatten, sich dieses Wissen auch zunutze zu machen.
Und man informierte sie über die Art ihrer unnatürlichen »Infektion«, wie man deren Potential dazu verwenden konnte, sich selbst zu schützen, wie man den Geliebten oder die Geliebte davor schützen konnte. Eine Sibylle konnte sogar Kinder bekommen. Der künstliche Virus konnte den natürlichen Filter der Plazenta nicht durchdringen, um die Kinder zu beschützen, die vielleicht nicht die Neigungen ihrer Mütter teilten – die aber größere Chancen als andere hatten, die Sibyllen zukünftiger Generationen zu werden. Ein Kind zu haben ... in den Armen des einzigen zu liegen, den sie jemals lieben würde, zu wissen, daß sie wie früher immer füreinander dasein konnten .. .
Mond richtete sich auf, denn das Geräuscheines Näherkommenden hatte sie aus ihrem Nachdenken gerissen.
Aber er liebt eine andere.
Die Erinnerung daran, was sie nun trennte, mehr als nur die Kluft in Raum und Zeit, schmerzte sie, während sie KR Aspundh näherkommen sah.
»Mond.« Er lächelte ihr begrüßend zu. »Sollen wir uns auf unseren abendlichen Spaziergang begeben?« Er spazierte jeden Abend durch seinen Garten zu einem kleinen Marmorpavillon im Zentrum eines Sträucherlabyrinths, wo die Urnen mit der Asche seiner Vorfahren standen. Die Kharemoughis verehrten eine Hierarchie von Göttern, die ihre Vorstellungen von einer geordneten Gesellschaft direkt in den Himmel übertrugen und bevölkerten auf diese Weise ein Pantheon, das auch über die anderen Welten der Hegemonie wachte. Auf der ersten Stufe standen hierbei die verstorbenen Ahnen einer Person, deren
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