Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Iestas.
Verdammt, fast alle – wie soll ich ohne die nur den Tag überleben?
Die Tür öffnete sich, ohne ihre Frage zu beantworten, und Kapitän –
Oh, Gott, wie war doch gleich sein Name? –
trat ein und salutierte. »Kapitän KerlaTinde meldet sich zum Rapport, Kommandant«, als hätte er nicht damit gerechnet, daß sie sich seiner erinnern würde. Inzwischen hatte sie sich an die kalten und unbeteiligten Stimmen gewöhnt. Die Truppe haßte ihre Art, fast jeder einzelne Mann, und inzwischen standen sie kurz vor einer Revolte. Die Disziplin war zum Teufel gegangen, aber sie konnte ja nicht jeden in der Truppe disziplinarisch bestrafen lassen – und alles andere hatte sie schon versucht. Sie wollten ihr nicht gehorchen – ja,
weil sie eine Frau war
(und verdammt sei der Tag, an dem sie je beschlossen hatte, etwas anderes zu sein) –, aber auch, weil sie den Platz eingenommen hatte, der rechtmäßig Mantagnes zugestanden hätte. Und weil es der Vorschlag der Königin gewesen war. Sie glaubten, daß sie ihre Marionette war, aber wie sollte sie sie vom Gegenteil überzeugen, wo Arienrhods Fäden sie wie ein Spinnennetz gefangen hielten, sie festhielten zwischen Himmel und Hölle, um ihren Willen, weiterzumachen, zu brechen?
»Was ist los, KerlaTinde?« Sie vermochte nicht, ihrer Stimme die Schärfe zu nehmen.
»Die anderen Offiziere haben mich ersucht, für sie zu sprechen,
Ma'am.«
Das Wort bekam in seinem Mund einen gehässigen Beigeschmack. »Wir wollen, daß die zwangsweise Streife von Offizieren hier in der Stadt beendet wird, denn wir sind der Meinung, daß dies Aufgabe der Streifenbeamten ist. Es ist dem Prestige eines Offiziers abträglich, wenn er Bürger auf der Straße durchsuchen muß.«
»Sollen die Bürger sich lieber gegenseitig durchsuchen?« Das Stirnrunzeln fiel ihr zu leicht. Sie beugte sich vor. »Was für Vorstellungen haben Sie von den bedeutenderen Pflichten, die einem Offizier statt dessen zukommen sollten?«
»Wir sollten uns unseren Aufgaben zuwenden! Wir haben ohnehin schon kaum Zeit, die Aktenberge zu bewältigen, auch ohne dazu noch Streife zu laufen.« Sein breites Gesicht glich dem ihren: Stirnrunzeln gegen Stirnrunzeln. Er betrachtete vielsagend die Aktenberge neben ihrem Schreibtisch.
»Ich weiß, KerlaTinde«, seinem Blick folgend. »Ich habe jedes Stückchen rotes Band herausgeschnitten, das ich konnte.«
Und du solltest die Narben sehen, die Hovanesse mir dafür geschlagen hat.
»Ich weiß, der Ausfall des Computers hat alles noch ums Zehnfache verschlimmert, aber, verdammt nochmal, unsere Hauptaufgabe hier ist es immer noch, die Bürger der Hegemonie zu beschützen, und das muß auch getan werden.«
»Dann geben Sie uns Aufgaben, die sich auch lohnen!« KerlaTinde winkte mit einer Hand zum nicht existierenden Panorama vor ihrem Fenster. »Wir wollen keine Betrunkenen aus der Gosse holen, wir möchten gerne die großen Fische fangen, wir möchten endlich einmal etwas erreichen, das sich auch zu erreichen lohnt.«
»Dazu wird es nie kommen. Es wäre reine Zeitverschwendung.«
Großer Gott, konnte ich das wirklich sagen? Bin ich wirklich diejenige, dieselbe, die einst dort stand, wo er jetzt steht, und
dasselbe sagte?
Sie warf ein leeres Iestaröllchen in den überquellenden Papierkorb.
Nein, ich bin nicht dieselbe.
Doch es stimmte, was sie ihm gesagt hatte ..
Kaum war sie Kommandantin gewesen, hatte sie mit aller Gewalt versucht, das Netz der großen Macher zu zerreißen, das seine Verbrechen hier, von Karbunkel aus, kontrollierte. Aber sie waren ihr wie Wasser durch die Finger geronnen. Eine illegale Aktivität, die eine Verhaftung gerechtfertigt haben würde, stellte sich immer technisch als unter der Oberhoheit der Bürger dieser Welt stehend heraus. Und die Winter unterlagen dem Gesetz der Königin, ohne deren Erlaubnis konnte sie ihnen nichts anhaben.
»Kommandant LiouxSked dachte nicht so.«
Den Teufel tat er.
Aber es war zwecklos, das zu sagen. War LiouxSked mit derselben nervenaufreibenden Untätigkeit geschlagen gewesen, oder hatte die Königin die Gesellschaft von Karbunkel nur für sie persönlich restrukturiert? Sie konnte es weder KerlaTinde noch sonst einem erklären, denn für die stand bereits fest, daß die Königin sie in der Tasche hatte, und daran konnte sie mit Worten nichts ändern. »Die Patrouillen in den Straßen erfolgen aus gutem Grund, KerlaTinde; Sie selbst wissen, die Rate der Gewaltverbrechen ist gestiegen« – auch dahinter spürte sie
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