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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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schnurstracks auf sie zu – das war Silky, der die meiste Zeit seit ihrer Ankunft in der Bucht verbracht hatte. Sie lehnte sich gegen eine gesplitterte Rahe. »Was wird er tun, Miroe? Er hat niemanden mehr, keine Heimat.« Sie erinnerte sich daran, wie Elsevier und TJ ihn gefunden hatten.
    »Er ist hier willkommen, und das weiß er auch.« Ngenet wies mit einer Handbewegung über seinen Besitz und lächelte ihr beruhigend zu.
    Sie lächelte zurück, dann wandte sie sich wieder zum Meer. Die Ironie von Silkys Anwesenheit zwischen den Mers erfüllte sie mit seltsamen Gefühlen, als sie beide zusammen sah. Die Menschen der Plantage haßten alle von seiner Art – nicht einfach nur, weil sie Fremde waren, Außerirdische, sondern auch, weil sie die Hunde der Königin waren, die die Mers jagten. Sie hatte erfahren, daß Ngenet diese Schlächtereien nicht nur verabscheute und in seiner Plantage nicht duldete, sondern daß er sich zudem nur Arbeiter angeheuert hatte, die ebenso dachten. Ngenet kannte Silky schon jahrelang als Elseviers Gefährten und hatte Vertrauen zu ihm, aber seine Leute noch nicht.
    Doch die Mers, die eigentlich am mißtrauischsten hätten sein sollen, akzeptierten ihn rückhaltlos, und daher brachte er die meiste Zeit im Meer zu. Sie konnte sich nur an dem schmalen Fenster über seine Gefühle orientieren, das seine und ihre Welt miteinander verband. Er war zurückgezogener und weniger gesprächig als je zuvor, und nur angesichts der Erinnerung an die letzten Augenblicke im LB konnte sie sich vorstellen, daß er trauerte. Nun gesellte er sich wieder einmal zu ihnen. Er zog sich gewandt zum Dock empor und stand dann tropfend neben ihnen. Sein nasser, geschlechtsloser Körper zeigte kaum Spuren der Lichtwelt rings umher, aber er glänzte mit tausend Juwelen des Meeres. (Es war ihr immer seltsam vorgekommen, daß Elsevier und die anderen ihn als männlich ansahen, denn in ihren Augen konnte der glatte, geschmeidige Körper auch weiblich sein.) Seine Augen spiegelten lediglich ihre eigenen Gedanken, als wollte er verhindern, daß sie seine geheimsten Gefühle darin lesen konnte. Er nickte ihnen zu, dann beugte er sich mit hängenden Tentakeln über die Brüstung.
    Sie sah wieder über die Bucht hinaus, wo sich drei weitere Mers zu den beiden ersten gesellt hatten, um ein fröhliches Ballett zu vollführen – eine äußere Spiegelung ihrer selbstlosen inneren Schönheit. Jeden Abend, wenn sie diesen Weg entlangkam, vollführten die Mers ein anderes Quecksilberballett im Wasser, als wollten sie ihre Rückkehr ins Leben feiern. Während sie ihre eleganten Bewegungen verfolgte, erkannte sie sie endlich völlig als das, was sie waren, was auch Silky war: Kinder des Meeres, und nicht für alle Zeiten eine Adoptivtochter ... »Silky, schau sie dir an! Wenn ich doch nur einen einzigen Tag in eine andere Haut schlüpfen könnte, nur eine Stunde ... «
    »Du möchtest ins Meer zurück, obwohl es noch keine vierzehn Tage her ist, seit ich dich zitternd und blaugefroren herausgeholt habe?« Ngenet betrachtete sie ungläubig. »Ich glaube fast, dein Geist hat doch einige Schäden davongetragen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein ... nicht so! Herrin, niemals wieder.« Sie rieb sich winselnd die Muskeln ihrer Arme unter der schwaren Parka. Die Spasmen ihrer Unterkühlung hatten jeden Muskel ihres Körpers geschüttelt, bis sie desorientiert und fast verkrüppelt gewesen war. Nun, da sie wieder denken und gehen konnte, unternahm sie jeden Tag längere Spaziergänge in Ngenets Gesellschaft, um die Schmerzen in ihrem Körper zu vertreiben, und sich zu erinnern, was es bedeutete, sich ohne Wehklagen bewegen zu können. »Mein Leben lang gehörten die Menschen dem Meer. Aber
wirklich
dem Meer zu gehören, so wie sie, und sei es nur ganz kurze Zeit. Gerade lange genug, um zu wissen ...« Sie verstummte.
    Die Mers hatten ihren Tanz beendet und waren wieder unter der Wasseroberfläche verschwunden. Nun tauchten unerwartet drei pelzige Köpfe aus dem schattigen Wasser direkt unter ihr auf. Drei Nacken beugten sich wie treibendes Seegras, ihre polierten Edelsteinaugen blickten empor. Schützende Membranen glitten vorsorglich über die gläsernen Oberflächen, die federähnlichen Brauen sträubten sich, was den Gesichtern einen verblüfften Ausdruck verlieh. Der Mer in der Mitte war derjenige, der sie wie sein eigenes Kind gehalten hatte, als sie im Meer getrieben war.
    Mond beugte sich weit über das Geländer und griff mit

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