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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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würden wir mit dem Wissen um unsere früheren Leben geboren, anstatt blind durch das Leid des Lebens kriechen zu müssen?«
    Er lachte. »Diese Frage sollte ich eigentlich dir stellen, Sibylle.«
    Sibylle. Ich gehöre wieder dazu. Ich bin wieder in Ordnung. Ganz in Ordnung. Heilig ...
Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Sie drückte gegen die Stelle ihrer Parka, unter der ihr Kleeblatt verborgen war. Danach sah sie wieder nach Norden und hoffte sehnsüchtig auf einen Blick darauf, was außerhalb ihrer Sicht lag. Die Zeit des letzten Balls rückte näher, wenn der Premierminister das letztemal nach Karbunkel kam. Sie verspürte eigenartige Empfindungen, während sie daran dachte, daß er ihr von Kharemough hierher folgte. Es würde noch vierzehn Tage dauern, bevor ein Händlerschiff sie nach Karbunkel bringen konnte. In vierzehn Tagen würde sie wissen ... Plötzlich merkte sie, wie rasch ihr Herz in der Brust klopfte, und sie hatte keine Ahnung, ob sie Vorfreude oder Furcht empfand.
    Sie gingen an den äußeren Gebäuden vorbei, wo er seine merkwürdigen Werkstätten hatte, dann weiter abwärts zu den ausgedehnten, gefluteten Feldern, die sich, so weit das Auge reichte, nach Norden und Süden am Küstenstreifen entlangzogen. Ngenet befaßte sich mit einer geradezu unglaublichen Anzahl nicht mehr funktionierender Maschinen und nutzloser Werkzeuge in seinen Werkstätten - mit Dingen, die ihr noch vor einigen Monaten wunderbar erschienen wären, die sie heute allerdings nur noch als Nebensächlichkeiten betrachtete. Sie hatte ihn gefragt, warum er sich mit ihnen abgab, wo es doch in der Stadt Geräte gab, die dieselben Aufgaben erfüllen konnten, obendrein noch viel besser. Aber er hatte nur gelächelt und sie gebeten, niemandem sonst von seinem Hobby zu erzählen.
    Winterarbeiter stolzierten auf Stelzen durch die feuchten Felder der Tangbecken - eine Pflanze, die hier draußen, in den unwirtlichen Nordgebieten, sowohl Menschen wie auch Tieren als Nahrung diente. Die Arbeiter blickten respektvoll grüßend auf, manchmal bedachte sogar hie und da jemand Mond mit einem freundlichen Lächeln. Ngenet hatte seinen Angestellten nur erzählt, daß sie eine Seefahrerin sei, die von Mers vor dem Ertrinken gerettet worden war. Die Winter hier draußen, die vom Meer lebten, waren nicht so weit vom Glauben an die Meeresmutter entfernt, wie sie immer geglaubt hatte. Sie hatten sie mit aller Zuvorkommenheit behandelt, die einem kleinen Wunder gebührte. Eines sonnigen Nachmittags hatten die Feldarbeiter ihr beigebracht, wie man auf Stelzen gehen konnte. Und als sie unbeholfen und mit staksigen, unsicheren Schritten auf dem trockenen Land dahingeschritten war, hatte sie erkannt, warum die Arbeiter immer wasserfeste Anzüge trugen, wenn sie zur Arbeit in die Tangfelder gingen.
    Sie folgte Ngenet einen Steinpfad entlang, von denen viele die Felder durchzogen, und schritt dabei durch einen Korridor der Zeit: der Geruch des Meeres und der Anblick der Wellen versetzten sie zurück nach Neith, zu Gran, zu ihrer Mutter, zu Funke ... in eine verlorene Zeit. In eine Zeit, in der die Zukunft noch ebenso sicher wie die Vergangenheit gewesen war, und sie gewußt hatte, daß sie ihr nicht allein entgegentreten mußte.
Eine verlorene Zeit.
Nun hörte sie die Stimme einer neuen Zukunft, die ihr von Stern zu Stern zurief, die Stadt im Norden zu besuchen ...
    Ihre Stiefel hallten auf dem Holzsteg vor dem überdachten Schuppen, der als Hafen der Plantage diente. Das Wasser der Bucht, das von Uferarmen vor den Winden geschützt wurde, lag blau und silbern unter dem Himmel. Sie konnte das Meer betrachten, ohne wieder in den Alptraum des Meeresgerichts der Herrin hineingezogen zu werden, was sie überrascht hatte. Doch noch stärker als die Erinnerung war das Wissen, daß das Meer sie verschont hatte. Sie hatte überlebt. Das Meer gab und das Meer nahm, elementare Manifestation einer universellen Gleichgültigkeit. Und doch war sie zweimal geistig und körperlich mit dieser Gleichgültigkeit konfrontiert worden – und sie hatte sie verschont. Ein namenloses Gegenschicksal lebte in ihr, und solange das der Fall war, brauchte sie keine Angst zu haben.
    Weiße Fontänen spritzten plötzlich über der blauen Oberfläche der See auf, als Mers an die Oberfläche schwammen. Sie beobachtete sie, wie sie im Wasser der Bucht auf- und unter tauchten, um dann wieder in der Unterwelt des Wassers zu verschwinden. Eine weniger deutliche Spur glitt aber

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