Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Kopf. »Was soll das heißen?« Verständnislos.
Sein Grinsen wurde noch trockener. »In dieser Stadt wahrscheinlich nichts. Gr, ich will endlich wieder fließendes Warmwasser sehen! Ich möchte mich endlich wieder sauber fühlen.« Er wandte sich ab und ging ins Badezimmer; einen Augenblick später hörte sie Wasser fließen.
Mond aß ihren Teil des Fisches, den sie unterwegs besorgt hatten, wobei sie am Fenster saß, um der selbstbewußten Schizophrenie des Raumes zu entgehen – eines Raums, der typisch für Winter war: gefangen zwischen dem Meer und den Sternen. Die Zimmer befanden sich im zweiten Stock, daher konnte sie das Treiben von oben studieren. Sie beobachtete die Menschen, die wie Blut durch die Arterien der Stadtstraßen pulsierten.
So viele ...
hier gab es so viele.
Von den Lebenserhaltungssystemen der künstlichen Vitalität abgeschnitten, brach ihre Ausdauer zusammen, und sie verlor die Zuversicht, daß sie jemals das eine Gesicht unter tausenden finden würde. Die Sibyllenmaschinerie hatte sie nach Karbunkel zurückgebracht, aber was erwartete sie nun? Aspundh hatte ihr nichts über die Art und Weise sagen können, wie sie agierte, er hatte nur gewußt, daß es das Unberechenbarste und Unverständlichste war, das eine Sibylle erleben konnte. Sie hatte angenommen, daß sie ihr helfen würde, aber nun, da sie in der Stadt war, hatte sie keine blitzartigen Erleuchtungen. Hatte sie sie verlassen, sie vergessen, sie dazu verdammt, Sandkörner am endlosen Strand zu zählen? Wie sollte sie Funke nur ohne Hilfe finden?
Und was, sollte sie ihn wirklich finden? Was war aus ihm geworden – ein kaltblütiger Killer, der die schmutzige Arbeit der Winterkönigin tat, der sogar das Bett mit ihr teilte? Was wollte sie zu ihm sagen, wenn sie ihn tatsächlich finden sollte? Er hatte sie bereits zweimal zurückgewiesen, auf Neith und an jenem verlassenen Strand ... wie oft sollte er ihr denn noch sagen, daß sie nicht mehr seine Liebste war? Hatte sie wirklich alles durchgemacht, nur damit er ihr das ins Gesicht sagte? Sie hob eine Hand zur Wange.
Warum kann ich es nicht lassen? Warum kann ich es mir nicht eingestehen?
Der Vorhang zum Badezimmer wurde beiseite geschoben und Gundhalinu kam heraus, frisch gewaschen, frisch rasiert, aber immer noch in denselben schäbigen Kleidern. Er streckte sich seufzend auf dem Sofa aus, als hätte ihn das Bad seine letzte Kraft gekostet. Nun schloß Mond sich ihrerseits in dem kleinen Waschraum ein, um die Zweifel vor ihm zu verbergen, die sie nicht aussprechen, aber auch nicht verbergen konnte. Sie duschte, und das dampfende Wasser löste ihre Spannung, doch es konnte nicht ihre Schuld abwaschen.
Sie kam wieder in das größere Zimmer heraus, nur mit ihrer Tunika bekleidet, und trocknete sich Haare und Augen. Sie hatte erwartet, Gundhalinu schlafend zu finden, doch er stand am Fenster, wie sie es getan hatte.
Sie gesellte sich zu ihm. Dort standen sie schweigend, ohne einander zu berühren, in stiller Anteilnahme, und sahen hinaus, hinab auf die Straße, lauschten dem Lärm des Balls, der gegen die Fenster rasselte.
»Warum bin ich hierher gekommen? Warum brachte sie mich dazu, herzukommen, obwohl es keinen Grund dafür gibt?«
Gundhalinu sah sie an. Er runzelte überrascht die Stirn.
»Was will ich denn anfangen, wenn ich ihn finde? Ich habe ihn bereits verloren. Er will mich nicht mehr. Er hat eine Königin ... « – sie schlug die Hand vor den Mund –, »... und für die ist er bereit, zu sterben.«
»Vielleicht will er Arienrhod nur, weil er dich nicht haben kann.« Wieder suchte Gundhalinu in ihrem Gesicht nach etwas, das sie nicht verstand.
»Wie kannst du das sagen? Sie ist eine Königin.«
»Aber sie wird niemals du sein.« Er berührte zögernd ihre Finger. »Und daran liegt es vielleicht, daß er nicht mehr weiterleben will.«
Sie nahm seine Hand in die ihre und preßte sie gegen ihre Wange, küßte sie. »Ihr gebt mir Selbstwertgefühl, wenn ich haltlos treibe im Wind ... wo ich so lange verloren war.« Ihr Gesicht brannte.
Er befreite seine Hand. »Sprich nicht Sandhi! Das will ich nie mehr hören.« Er zupfte unbeholfen am Ärmel seines groben Hemdes. »Ich bin nicht bereit. Haltlos im Wind – das bin ich, nicht du. Gischt auf dem Meer, Staub im Wind, Schmutz unter den Stiefeln meines Volkes ...
»Hör auf!« Sie unterbrach seine Worte, da seine Pein auch ihr Schmerzen bereitete. »Hör auf, hör auf! Ich möchte nicht, daß du so denkst! Es ist
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