Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Arienrhod wich einen Schritt zurück, als sie erkannte, daß er das nur getan hatte, um seine Wut nicht an ihr auszulassen.
»Dann ist es am besten, wenn ich jetzt gleich sterbe.« Er umklammerte mit den Händen die Tischkante und beugte sich mit gesenktem Kopf hinab. »Und beende, was ich begonnen habe.«
»Funke!« Der Name drang ihr aus tiefstem Herzen, wo der heiße Schmerz seines Leidens sie vage anrührte. Aber er antwortete nicht, sie konnte ihn nicht mehr erreichen, er hatte sie ausgeschlossen. »Starbuck!« Das Leiden wurde zu ihrem, doch ihr Schmerz wurde zu Zorn. Diesmal blickte er auf, sein Gesicht war hart und verbissen. Er hatte nichts mehr von Funke an sich, man konnte nur noch seinen Geist hinter der Fassade erahnen. Und den Geist der verlorenen Mond, ihrer anderen Hälfte, deren Tod seine Schuld war, und die seine Liebe zu ihnen beiden mit ins Grab genommen hatte. Arienrhod spürte seine von Monds Geist bedeckte Realität, die zum Fokus des Brennglases des Scheiterns wurde:
des Scheiterns.
Das Wort hinterließ eine Rauchspur vor ihrem inneren Auge. »Du wirst das Wasser des Lebens überbringen, und zwar bald! Deine Königin befiehlt es!«
Er preßte die Lippen zusammen. Es war das erstemal, daß sie ihm etwas befahl, das erstemal, daß er sie dazu gezwungen hatte. »Und wenn ich mich weigere?«
»Dann werde ich dich den Außenweltlern übergeben.« Da sie nicht wollte, daß er sie beim Wort nahm, riß sie sich trotz schwindender Selbstbeherrschung zusammen. »Dann wirst du den Rest deines Lebens in einer Strafkolonie verbringen und dir wünschen, du wärst bei der Veränderung gestorben.«
Starbucks Kinn sank herunter. Seine Augen tasteten ihr Gesicht ab wie die Hände eines Blinden, bis er schließlich erkannte, daß es ihr mit jedem Wort ernst war. Er beugte einwilligend den Kopf, hilflos unter der Last seines Selbsthasses.
Da wußte sie, daß sie ihn dazu bringen konnte, alles für sie zu tun ...
alles –
und mit diesem Sieg hatte sie ihn für immer verloren.
38
Mond erwachte plötzlich seufzend in der warmen Umklammerung eines Armes.
Fünkchen, ich hatte einen so seltsamen Traum .. .
Sie öffnete die Augen und erschrak über den unerwarteten Anblick des Zimmers. Dann erinnerte sie sich, sah hinab und sah einen braunen Arm mit rosa Narben unter ihrem Kopf. Nur einen winzigen Augenblick lang empfand sie Schmerz, doch dann lächelte sie ohne Schuld oder Bedauern und schob ihre Finger zwischen seine. Sie drehte sich behutsam auf der schmalen Couch um, um BZs schlafendes Gesicht zu studieren, und erinnerte sich, wie er während der stillen Dämmerungen über ihr gewacht hatte. Erinnerte sich an die Gedichte seines Herzens, die er ihren staunenden Ohren zugeflüstert hatte, als er sich endlich mit ihr vereint hatte;
mein Stern, weißer Vogel, Wildblume ...
bis sie die Worte hinausgeschrien hatte, die auszusprechen sie kein Recht hatte, aber auch nicht die Kraft, sie zurückzuhalten:
Ich liebe dich, ich liebe dich .. .
Sie streichelte seine Wange, aber er rührte sich nicht. Er legte den Kopf an ihre Schulter. Hier, in diesem Zimmer, in diesem Raum, der in ihren verschiedenen Lebenswegen nie eine Rolle gespielt hatte, hatten sie die Liebe geteilt, und sie hatten einander etwas unglaublich Wertvolles gegeben - eine Versicherung ihres gegenseitigen Wertes.
Der Lärm des Balls drang immer noch herauf, zwar gedämpft, aber unverändert. (»Ich habe es noch nie bei Licht getan«, hatte er gemurmelt. »Wir sind schön ... warum habe ich mich nur geschämt?«) Sie hatte kein Gefühl dafür, ob es Nacht oder Tag war, hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatten. Ihr Körper war erschöpft und ungehorsam und sagte ihr, daß es nicht lange genug gewesen war. Aber sie konnte sich kein weiteres Schläfchen gönnen. BZ schlief wie ein Toter, daher glitt sie so leise wie möglich unter seinem Arm hervor, um ihn nicht aufzuwecken. Sie war sicher, daß sie den Weg zur Allee der Maskenmacherin allein finden konnte. Sie zog sich an und schlüpfte zur Tür hinaus.
Die feiernde Menge schien so groß und so wach wie eh und je, als würde eine Schicht der Feiernden nahtlos von der nächsten abgelöst werden, ein endloses Rad. Sie hielt sich so dicht wie möglich an den Mauern der Gebäude und bahnte sich entschlossen einen Weg durch Stände und Straßencafés hindurch. Im Vorübergehen schnappte sie sich ein Stück gewürztes Fleisch, das sie unterwegs verschlang. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und
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