Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
jemals zuvor. »Um Himmels willen, Herne – sei wenigstens einmal in deinem Leben kein Schuft! Tu etwas, das beweist, daß du ein Recht zu leben hast.«
Hernes Oberkörper wurde von einem wilden Zittern geschüttelt, doch dann sah sie, wie sein Gesichtsausdruck sich wieder veränderte, und er blickte wieder zu Mond. »Dort drinnen.« Er deutete zu dem Spind. »Öffne ihn!«
Mond ging zum Spind und zog die Tür auf. Tor sah Kleider und Drogen und halbleere Flaschen, das zweite Regal war leer, abgesehen von einem kleinen schwarzen Objekt.
»Das ist es. Bring es her!«
Mond brachte es herüber und reichte es ihm, blieb aber auf Distanz. Er hielt es in seiner Handfläche, als würde es leben, und streichelte seine Oberfläche mit unsicheren Fingern. Er berührte eine farbige Fläche, dann noch eine, und noch eine. Drei verschiedene Töne wurden in der Stille des Raumes laut.
»Was kontrolliert es?« fragte Gundhalinu.
»Den Wind.« Herne sah mit trotzigem Stolz zu ihnen auf. »Im Saal der Winde in Arienrhods Palast. Sie hat das einzige andere, das noch existiert. Hiermit wird es dir möglich sein, direkt ins Zentrum des Palastes zu gelangen, ohne daß jemand argwöhnisch wird.« Er blickte Mond an. »Ich werde dir zeigen, wie man es anwendet und wo du nach Starbuck suchen mußt.«
»Was für eine Gegenleistung?« Monds Hand ballte sich zur Faust über dem Wunsch, das Kästchen wiederergreifen zu dürfen, doch ihr Gesicht zeigte Ablehnung.
Herne verzog voll Bitterkeit den Mund. »Keine Bedingungen. Es gehört rechtmäßig dir – und wann konnte ich dir jemals einen Wunsch abschlagen? Oder dir etwas geben, was du nicht haben wolltest, egal, wie sehr ich es auch versuchte ...«
Götter, er hielt sie wirklich für die Königin.
Tor schüttelte den Kopf.
Doch nun war Sympathie in den Augen der falschen Königin zu lesen, und sie sagte leise: »Wenn es jemals etwas geben sollte, das ich Ihnen geben kann ...«
Herne betrachtete seine nutzlosen Beine. »Kein menschliches Wesen kann mir das geben.«
»Ja, aber, wenn du zum Palast gehst, dann kannst du unmöglich wie ein Flüchtling aussehen.« Tor gestikulierte. »Komm mit mir, ich werde ein paar königliche Kleider aussuchen, oder wenigstens etwas, das dich ein bißchen herausputzt.«
»Mond, du kannst nicht zum Palast gehen. Ich verbiete es!« Gundhalinu versperrte ihr den Weg, als sie sich umwandte.
»BZ, ich muß. Ich muß«, entgegnete sie ungerührt.
»Du verschwendest deine Zeit, du riskierst deine Seele, wenn du dort hingehst. Er ist verkommen, vergiß ihn, laß ihn gehen!« Gundhalinu streckte ihr die Hand hin. »Hör mich nur dieses eine Mal an! Du bist besessen von einem Traum, einem Alptraum – um der Götter willen, wach endlich auf! Glaub mir, ich bitte dich nicht aus egoistischen Motiven darum, Mond. Mir liegt so viel an dir, an deiner Sicherheit ... «
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Versuch nicht, mich aufzuhalten, BZ. Denn das kannst du nicht.« Sie ging an ihm vorbei, und er unternahm keinen Versuch, sie daran zu hindern. Tor begleitete sie aus dem Zimmer.
Gundhalinu sah ihr nach und zog den Reißverschluß seines Mantels hoch, denn plötzlich war ihm kalt geworden. Er fühlte Hernes Augen, die sich in seinen Schädel bohrten, hatte aber nicht die Kraft, sich nach ihm umzudrehen.
»Du kennst die Wahrheit über sie, nicht wahr?« Hernes Stimme verlangte nach Aufmerksamkeit. »Du weißt, daß sie ein und dieselbe sind, Arienrhod und sie.«
»Sie sind nicht dieselbe!« Gundhalinu fuhr herum, sein schuldbewußtes Wissen war ihm deutlich anzusehen.
Herne lächelte, glaubte die Antwort, sein Blick gab nach. »Das dachte ich mir. Sie ist ein Klon der Königin, mehr konnte sie nicht sein.«
»Sicher?« Er fragte unwillkürlich, wollte es eigentlich aber nicht, hatte es nie beabsichtigt.
Herne zuckte die Achseln. »Arienrhod ist die einzige, die sicher ist. Aber ich bin sicher genug. Es ist nicht ihre Tochter – Arienrhod vergißt nie, das Wasser des Lebens einzunehmen. Außerdem würde sie es nie zulassen, daß ein Mann solche Macht über sie bekommt.«
»Es macht einen ... steril?« Gundhalinu blinzelte verblüfft.
»Während man es benützt ... nach hundertfünfzig Jahren vielleicht sogar auf Dauer. Wer weiß? Ein Witz, nicht wahr? Wunden heilen ebenfalls langsamer. Ein paar Menschen hat es sogar getötet.« Herne kicherte, diese Idee schien ihn besonders zu freuen. »'n paar Leute macht's sogar verrückt,
Weitere Kostenlose Bücher