Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
verlieren. Ketten waren dazu da, um gesprengt zu werden. »... Sie sehen wie ein wahrhafter Gewinner aus ... he da ...!« Plötzlich verstummte sie, und ihr Kiefer klappte herunter. »Eure Majestät?«
Das weißhaarige Mädchen in der Nomadentunika sah sie seltsam verwirrt an, der Blick genügte, sie davon zu überzeugen, daß sie sich irrte. Doch das Mädchen kam zielstrebig auf sie zu und blieb vor ihr stehen, ohne sich um den Strom der Menge zu kümmern. »Sind Sie Persiponë?«
Sie lächelte gekünstelt. »Nur eine billige Imitation, Kind. Aber, bei allen Göttern, du bist eine makellose Kopie der Königin.«
»Ich ... äh ...« Das Mädchen schien sich über diesen Vergleich nicht sonderlich zu freuen. »Fate schickt mich.«
Tor lachte nervös. »Götter, das will ich noch nicht hoffen .. . (›Das Schicksal schickt mich.‹ Nicht übersetzbare Anspielung auf die englische Bedeutung des Wortes »Fate« = »Schicksal«
– Anm. d. Übers.)
Oh! Du meinst Fate Ravenglass?«
Das Mädchen nickte. »Mein Name ist Mond Dawntreader. Sie sagte, Sie kennen meinen Vetter Funke.«
»Funke! Kann man wohl sagen.« Sie fühlte, wie unsagbare Erleichterung sie durchflutete und stieß sich von der Säule ab.
Hölle, Tod und Teufel, heute nacht bin ich viel zusehr aufgekratzt!
»Komm, verschwinden wir aus dieser Stampede!« Nun erst bemerkte sie, daß das Mädchen nicht allein war; eine kharemoughische Bohnenstange stand hinter ihr wie ein Schatten. Er trug die Uniform eines Blauen, deren Insignien die eines Inspektors waren. Wieder hüpfte ihr das Herz irrational bis zur Kehle, bis sie erkannte, daß seine restliche Kleidung überhaupt nicht zu der Uniform paßte und seine Jacke fleckig war. Die Flecken waren sichtlich getrocknetes Blut. Diese Möglichkeit trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei.
Keine Fragen stellen, einfach keine Fragen stellen!
Sie deutete zur Tür und führte sie ins Kasino. Mond Dawntreader staunte mit großen Augen angesichts der Lichteffekte in der Luft, angesichts der erstaunlichen Vielzahl exotischer Kleidung und der extremen Verhaltensmuster, die mit ihnen verbunden waren, angesichts der ganzen belämmernden Vielfalt des Eindrucks, den eine Spielhölle auf eine unberührte Seele macht. Sie hörte einen von der hämmernden Musik gedämpften Ausruf des Mädchens: »Schau dir das an!« Sie schritten durch ein holographisches schwarzes Loch, umgeben von schimmerndem Treibgut. »So etwas habe ich auf ganz Kharemough nicht gesehen, nicht einmal im Diebsmarkt!«
Tor sah sich überrascht um, doch der gefallene Blaue sagte nur: »Das wirst du auch nie!« Tor schüttelte den Kopf und ging weiter.
Sie führte sie durch den dämmerigen, brokatverkleideten Korridor, wo sich die Prostituierten ihre Kunden aufgabelten, denn das war der ruhigste und privateste Ort, den sie sich im Augenblick vorstellen konnte. Als sie vergeblich nach einem unbenützten Zimmer Ausschau hielt, sah sie, daß Herne seines immer noch nicht verlassen und seine Schicht nicht begonnen hatte. Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. »He, Süßer, deine Fans warten auf dich! Gehen wir!«
Die Tür ging auf. Harnes alterndes Schönknabengesicht blickte heraus, dann mit indifferentem Abscheu weiter. »Warum hältst du eigentlich nie ...« Sein Blick ruhte auf Mond, sein Gesichtsausdruck veränderte sich, veränderte sich, veränderte sich nochmals. »Meine Götter!« Zuletzt blieb reiner Irrsinn übrig. »Was tust du hier? Du Schlampe, du gottverdammte elende Schlampe! Ich wußte, eines Tages würdest du kommen – du konntest dich nicht darüber freuen, mich vernichtet zu haben, wenn du es nicht mit eigenen Augen gesehen hättest . ..«
»Herne!« Tor versperrte ihm den Weg, als er nach dem Mädchen schlagen wollte. »Was ist denn nur in dich gefahren, drehst du durch, oder was? Sie ist eine Fremde!«
»Meinst du, ich würde Arienrhod nicht erkennen, wenn ich sie sehe? Ich kenne die Königin, ich habe sie jahrelang gevögelt! Habe ich das nicht, du weiße Hure?«
»Ich bin nicht die Königin«, sagte Mond mit dünner Stimme.
»Das ist sie wirklich nicht, Herne!« Tor schnitt ihm das Wort ab, bevor er erneut beginnen konnte. »Sei still und gebrauche deine blutunterlaufenen Augen, du Idiot! Sie ist eine Sommer, die wegen ihres Vetters gekommen ist. Du hast sie noch nie zuvor gesehen, und ich wette, du hast auch die Königin noch nie gesehen, geschweige denn flachgelegt. Die hat einen besseren Geschmack.«
»Was weißt du
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