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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Platz hatten, verteidigten diesen schon seit Stunden, und die hin und her patrouillierenden Blauem hatten keine Mühe, sie auf ihren Plätzen zu halten. Sie waren gekommen, um dem Anfang vom Ende beizuwohnen, der ersten der uralten Zeremonien der Veränderung: dem Wettlauf, der die Zahl der Anwärterinnen auf die Position der Sommerkönigin ausdünnen würde.
    Mond war auf die Straße getreten, als sich der Kern der Sommerfrauen um eine der Ältesten der Familie Goodventure versammelte, die das Blut der Familie der letzten Sommerkönigin in sich trug. Den Mitgliedern ihrer Familie war es bei dieser Veränderung verboten, Königin zu werden, doch waren sie mit der Ehre bedacht, dafür zu sorgen, daß alle Zeremonien ordnungsgemäß ausgeführt wurden. Sie hatte sich ein farbiges Band aus dem Säckchen genommen und schlang es nun um den Kopf – ein Band, das ihr einen Platz im vorderen, mittleren oder hinteren Teil der startenden Menge sichern würde. Das Band, das sie trug, war grün, die Farbe des Meeres, und damit gehörte sie zu den ersten, vor dem Braun der Erde und dem Blau des Himmels. Sie knotete sich das Band um die Stirn, ihr Gesicht war bleich und ausdruckslos, verglichen mit dem Triumph und der Enttäuschung rings um sie her. Natürlich war es ein grünes Band ... wie hätte es anders sein sollen? Doch eine aus der Gewißheit geborene Spannung nagte in ihr und umklammerte sie wie Tentakel. Sie drängte sich zur vordersten Front des sich formierenden Startfeldes, um ihr zu entgehen.
    Sie blickte sich um, während sie sich bemühte, ihre Position in der Menge der aufgeregten Sommergesichter und farbigen Bänder nicht mehr zu verlieren ... in dieser Menge von Fremden. Die meisten der Frauen, die in die Stadt gekommen waren, hatten die traditionellen Ferienkleider mitgebracht: weiche Wollhemden und Hosen in Meergrün, Sommergrün, um die Herrin zu erfreuen. Sie waren alle überreichlich mit Schmuck aus Muscheln und Perlen behangen, mit Bändern, an denen ihr Familientotem baumelte. Sie aber trug die Nomadentunika, die sie sich von Persiponë mitgebracht hatte, das einzige Kleidungsstück, das sie besaß, dessen leuchtende Farbe ihr plötzlich so fremd war wie sie sich selbst fühlte. Sie hatte ihr Haar mit einem Tuch bedeckt, um ihre Ähnlichkeit mit der Königin zu verbergen. Einige der Sommer hatten ihr das Recht absprechen wollen, an der Veranstaltung teilzunehmen, da sie keinen definitiven Beweis am Leibe trug, eine Sommer zu sein. Doch sie hatte ihnen ihre Kehle gezeigt, daraufhin waren sie zurückgewichen. Sie spürte die Ironie, am heutigen Tag Winterkleider zu tragen, und nicht welche, die rechtmäßig ihr gehörten. Und doch schien es irgendwie passend.
    Sie hatte keine Bekannten gesehen, weder unter den Läuferinnen, noch unter den Zuschauern. Und obwohl sie wußte, daß es äußerst unwahrscheinlich war, hier im Tohuwabohu Karbunkels Freunde von Neith oder den angrenzenden Inseln zu treffen, suchte sie doch weiter und war enttäuscht. Bilder, Geräusche und Gerüche ihrer Heimat umgaben sie, doch ihre Großmutter war viel zu alt für eine solche Reise, und ihre Mutter .. . »Die Bälle sind für die Jungen«, hatte ihre Mutter einst zu ihr gesagt, stolz und sehnsüchtig, »die keine Schiffe zu versorgen und hungrige Mäuler zu stopfen haben. Ich hatte meinen Ball, und ich halte die Erinnerung daran mit jedem Tag in mir wach.« Und sie hatte den Arm um die Schulter ihrer Tochter gelegt und sie auf dem schwankenden Deck gestützt .. .
    Mond wimmerte, als sie die häßliche Wahrheit hinter den Worten ihrer Mutter erkannte. Die Frau neben ihr entschuldigte sich und wich nervös zurück. Mond betrachtete sich selbst, als der aus Furcht geborene Freiraum sich wieder um ihre Gestalt auftat. Plötzlich war sie froh, daß ihre Mutter nicht gekommen war und sie nicht in diesem Rennen sehen konnte, wie es auch ausgehen mochte. Inzwischen mußten Gran und ihre Mutter sie längst für tot halten, und Funke auch, vielleicht war es auch besser so. Ihre Zeit des Trauerns mußte schon lang zurückliegen. War es besser, wenn sie niemals die Wahrheit erfuhren, oder doch, um dann immer in der Sorge zu leben, daß sie, wußten sie es erst, auch die ganze schreckliche Geschichte ihrer Kinder herausfinden würden? Sie schluckte ihren Kummer hinunter, schluchzte und konzentrierte sich wieder auf ihre Umwelt.
    Sie war nicht das Kind ihrer Mutter ... Aber auch nicht das Arienrhods.
Was tue ich also hier?
Plötzlich sah sie

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