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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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hervorkam, war er ohrenbetäubend. Sie spürte den Schock in sich widerhallen und versuchte, die Augen zu öffnen. Doch ihre Augen waren offen, und doch waren die Welt und die Szenerie ringsum kaum heller als bei Mondlicht, alle Kanten waren verschwommen und ununterscheidbar. Aber dafür funktionierten ihre anderen Sinne ausnahmslos überdurchschnittlich – denn sie war blind! In der Sekunde nach dem ersten, tiefen Entsetzen wurde ihr klar, sie war – Fate Ravenglass. Und irgendwo in diesem Kreis ununterscheidbarer Körper war der Gegenpol dieses Transfers .. . Sie betrachtete die vorüberziehenden, verschwommenen Gestalten und fragte sich dabei, was sie finden mochte, wenn sie überhaupt imstande sein würde, zu sagen, was Form annahm. Und dann nahm sie die Gestalt wahr, die im Kreis dahinstolperte, halb gestützt und gezogen von den Frauen, die sie zwischen sich hatten: sie selbst –
sie sah sich selbst!
Und Fate Ravenglass blickte durch ihre Augen zurück, jeder sah des anderen Gesicht und wußte es ... Und plötzlich fühlte Mond ihren geborgten Körper nach vorn treten, auf ihren wirklichen zu, die Maske wurde ihr von ihren Händen hingehalten. Als sie auf sich selbst zuschritt, konnte sie endlich erkennen, daß das Gesicht wirklich ihr eigenes war. Es sah die Maske an, dann wieder sie, Verwunderung und wortlose Faszination waren darin zu lesen. Sie hob die Maske mit Fates zitternden Händen, immer noch von ihrer Schönheit gefesselt, und setzte sie entschlossen auf ihre eigenen Schultern.
    Als die Maske auf ihren Schultern ruhte, fühlte sie sich wieder durch die Kluft des Transfers hinübergezogen, wieder in den Verstand, der rechtmäßig ihr gehörte. Durch die Augenlöcher konnte sie die benommene Fate sehen, spürte wieder ihre eigenen Arme, die immer noch von der Frau neben ihr gestützt wurden, während sie ringsumher den Jubel der Menge hörte. Doch sie erinnerte sich später nur noch an den Augenblick, an dem Fate das Gesicht berührte, das nun wieder ihr gehörte, und sagte: »Mein Gesicht ... ich sah mein Gesicht. Und die Maske der Sommerkönigin ... «

    Die Menge schloß sich um sie, zerschmetterte den zerbrechlichen Kreis der Hände und drängte die anderen Bewerberinnen ab. Die stützenden Arme zogen sich zurück, als sie sich wieder in der Gewalt hatte. Mond nahm Fate bei den Händen und betrachtete sie ruhig von Angesicht zu Angesicht. »Fate – es ist geschehen! Ich habe es geschafft! Ich bin die Sommerkönigin!«
    »Ja. Ja, ich weiß.« Fate schüttelte den Kopf, Tränen erhellten die dunklen Augen. »Es sollte so sein. Bestimmt. Es ist bestimmt das erstemal, daß zwei Sibyllen mit den Augen der anderen sahen und sich dabei selbst erblickten ...« Sie glättete ihren Kragen aus weißen Federn. »Du wirst als Königin alle Versprechungen erfüllen, die ich in die Maske hineingelegt habe.«
    Mond spürte, wie ihr Herz unerwartet von einer schweren Hand zusammengedrückt wurde. »Aber nicht allein. Ich brauche Hilfe. Ich brauche Leute, denen mein Volk vertrauen kann – und deines. Wirst du mir helfen?«
    Der Federnkragen raschelte bei Fates Nicken. »Ich muß mich sowieso nach einem neuen Beruf umsehen. Ich werde alles gerne tun, was ich vermag. Mond ... Eure Majestät.«
    Der Netzbaldachin beschattete sie, und die Älteste der Goodventures kam ernst und feierlich auf sie zu. »Herrin!« Die anderen Goodventures verbeugten sich vor ihr. »Eure heutigen Pflichten sind drei an der Zahl: Unter den Menschen einherzugehen und ihnen zu zeigen, daß die Nacht der Masken angebrochen ist. Sorglos zu sein. Zu feiern. Und Eure morgigen Pflichten sind ebenfalls drei an der Zahl: Hinabzugehen zu den Docks, wenn jenseits der Wälle der Tag graut. Den Winter dem Meer zu übergeben. Nach dem Willen der Herrin zu regieren.«
    Den Winter dem Meer zu übergeben.
Mond blickte zum Palast. »Ich ... ich verstehe.«
    »Dann kommt mit uns, damit das Volk Euch sieht. Bis morgen früh befinden wir uns zwischen den Welten, zwischen Winter und Sommer, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ihr seid die Vorbotin.« Die Goodventure geleitete Mond mit Gesten unter den wartenden Baldachin.
    »Fate, wirst du mich begleiten?«
    »Oh, ja, ich komme mit.« Fate lächelte. »Dies könnte die letzte Gelegenheit sein, mein Volk in all seiner Glorie zu sehen, und ich möchte das meiste daraus machen.« Sie berührte ihr künstliches Auge zärtlich mit einer Fingerspitze. Sie schien etwas traurig zu sein. »Alle meine Masken, die

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