Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Außenweltler.
Jerusha hielt sich an der Kante des Tisches fest. »Miroe!«
Er blieb jenseits von Tor mitten im Zimmer stehen. »Jerusha. « Seine Stimme klang so verblüfft wie ihre. »Ich hielt es nicht für möglich, daß ich dich hier finden würde, aber ich wußte nicht, wo ich sonst hätte suchen sollen.« Er erweckte den Eindruck, als wüßte er, nun, da er sie gefunden hatte, nicht, was er zu ihr sagen sollte. Er war wie ein Winterseemann gekleidet, Bartstoppeln bedeckten seine Wangen.
»Ja, Miroe, allzeit im Dienst. Bis zum Neuen Millennium. « Ihre Stimme war voller Bitterkeit.
»Ich hatte schon befürchtet, Karbunkel nicht mehr rechtzeitig zu erreichen. Das Wetter entlang der Küste war fürchterlich.« Sie erkannte, daß er sehr müde aussah. »Noch ein Tag, und ich wäre zu spät gekommen. Dann wärt ihr schon alle verschwunden gewesen.«
Sie schüttelte den Kopf, hielt aber Gesicht und Stimme ausdruckslos. »Nein. Morgen ist unsere Existenz hier nur offiziell beendet, aber es dauert noch ein paar Tage, bevor wir sichergestellt haben, daß nichts Kritisches zurückgeblieben ist. Was machst du hier, Miroe? Deine Leute sagten, sie wüßten nicht einmal, wohin du gegangen bist. «
»Es war eine spontane Entscheidung.« Seine Augen suchten die leeren Ecken des Zimmers ab. »Ich hatte diesen Ausflug nicht geplant. Die Götter wissen, eigentlich habe ich gar keine Zeit dafür. Es sind noch so viele Vorbereitungen zu treffen .. . ich muß meinen Leuten beibringen, alles auf neue Weise zu erledigen– auf neue alte Weise.« Jerusha hatte das Gefühl, mehr zu hören, als sie verstand, vielleicht auch mehr, als sie wissen wollte.
»Verlassen Sie diese Welt?« fragte Tor mit plötzlich erwachtem Interesse. Ngenet blickte sie an, als hätte er eben erst zur Kenntnis genommen, daß noch eine weitere Person anwesend war. »Suchen Sie eine Frau, Hübscher?«
Ngenet sah sie etwas ungläubig an. »Vielleicht. Aber keine, die Tiamat verlassen möchte, denn ich werde bleiben.« Er blickte wieder Jerusha an und kam auf sie zu.
»Oh.« Das Wort drückte mehr Unglauben als Enttäuschung aus. »Danke für die Warnung. Wer möchte schon einen Irren heiraten. Richtig, Pollux?« Sie stieß ihn an.
»Wie du meinst, Tor.«
Sie lachte laut und ohne ersichtlichen Grund.
Jerusha lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Also bleibst du wirklich den Rest deines Lebens hier. Für immer.« Sie war sichtlich enttäuscht, obwohl sie eigentlich kein Recht dazu hatte. »Du bist nicht hierher gekommen, um dich einschiffen zu lassen.«
»Nein. Tiamat ist meine Heimat, Jerusha, daran hat sich nichts geändert. Ich glaube, auch deine Meinung, Tiamat zu verlassen, hat sich nicht geändert.« Er sagte es, als wäre es eine feststehende Tatsache.
»Nein.« Sie hörte ihre mürbe Stimme, einen Augenblick des Zögerns, wo Sicherheit hätte vorherrschen sollen. Aber er schien nichts anderes erwartet zu haben. Er nickte resigniert, ohne Fragen zu stellen, akzeptierte ihre Entscheidung einfach so, wie schon einmal, bei ihrer letzten Begegnung. Als wäre es ihm völlig gleichgültig. »Warum bist du dann gekommen?« Mit etwas zuviel Schärfe. »Du sagtest, du wolltest an diesem Ball nicht teilnehmen.«
»Wollte ich auch nicht.« Er erwiderte ihren scharfen Ton. »Ich bin gekommen, um dir auf Wiedersehn zu sagen. Das war der einzige Grund.«
Der einzige Grund?
Ihr Gesicht wurde heiß vor Überraschung und Verlegenheit.
Verdammt, Ngenet! Ich verstehe dich überhaupt nicht!
Aber sie stellte sein Unvermögen zu fragen nicht in Frage und konnte es nicht über sich zu bringen, selbst zu fragen. »Ich äh, freue mich, daß du gekommen bist. Ich fühle mich geehrt, daß du die weite Reise unternommen hast, nur um dich von mir zu verabschieden.« Sie blickte zu Tor und überbrückte damit die Kluft zwischen ihnen wieder etwas. »Denn nun kann ich dir die Neuigkeiten persönlich mitteilen: Deine junge Freundin Mond lebt.«
»Mond?« Er schüttelte den Kopf und warf das Haar zurück. »Wie?« Ich kann nicht glauben ...« Er lachte. Sie sah, daß in ihm wieder etwas zum Leben erwacht war, das an dem Tag am Strand gestorben war.
»Sie wurde von Winternomaden aufgegriffen, konnte ihnen aber entkommen, zusammen mit einem meiner Inspektoren, den sie festgehalten hatten.«
»Dann ist sie hier in der Stadt?« Jerusha sah, wie er plötzlich ins Innere der Station blickte. »Wo ist sie?«
»Nicht in einer Zelle, Miroe. « Jerusha stieß sich vom Schreibtisch
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