Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
Richtung.
»Wollen Sie auch bestimmt keines meiner Bücher lesen, Inspektor?« Er hielt ihr eines der abgegriffenen Phantasiegebilde über das Alte Imperium hin, mit denen er sich während seiner ganzen Freizeit zu beschäftigen pflegte. Sie las den Titel:
Geschichten aus der Vergangenheit der Zukunft.
»Nein, danke. Gelangweilt zu sein ist interessanter.« Sie ließ diskret eine Iestahülse im Abfallbehälter verschwinden. »Wie kann ein aufrichtiger Technokrat wie Sie es nur über sich bringen, diesen Unsinn zu lesen, BZ? Es überrascht mich, daß das keine Hirnschäden hervorruft.«
Er blickte indigniert drein. »Sie basieren auf soliden archäologischen Daten und Analysen von Transfers der Sibyllen. Sie sind ...« Er grinste, und die altvertraute, sehnsüchtige Wonne strahlte wieder aus seinen Augen – »... der beste Ersatz, wenn man nicht schon selbst dort sein kann.«
»Karbunkel ist auch der beste Ersatz, wenn man nicht selbst dort sein kann, und wenn das ein vergleichbares Beispiel ist, dann kann man froh sein, daß die alten Zeiten vorüber sind.«
Er schnaubte entrüstet. »Genau das möchte ich vergessen, wenn ich lese. Das wahre Karbunkel war . ..«
»Was auch immer, wahrscheinlich war es genauso schlimm. Und noch weiter, niemand hatte ernste Absichten, die Dinge zu verändern, genau wie heute auch.« Sie ließ sich wieder in ihren Sitz zurücksinken und betrachtete stirnrunzelnd die Wasseroberfläche. »Manchmal komme ich mir wie eine ins Meer geworfene Flasche vor, die ewig mit den Gezeiten gespült wird, ohne jemals das Ufer zu erreichen. Die Botschaft, die ich bei mir trage, die Bedeutung, die ich meinem eigenen Leben geben möchte, wird nie erkannt werden ... weil niemand daran interessiert ist.«
Gundhalinu legte das Buch beiseite und sagte sanft: »Der Kommandant weiß genau, wie man die geheiligten Ahnen versuchen muß, was?«
Sie sah ihn an.
»Ich konnte gestern jedes Wort hören, das Sie mit ihm gewechselt haben.« Er verzog das Gesicht. »Sie haben bessere Nerven als ich, Inspektor.«
»Vielleicht einfach nur eine längere Zündschnur, nach all den Jahren.« Sie zupfte geistesabwesend am Reißverschluß ihrer dicken Jacke. »Nicht, daß das eine Rolle spielen würde.« Sie waren auf dem Weg nach Shotover Bay an der Sommergrenze, so weit in den Grenzbezirken von LiuouxSkeds Universum, als er in der kurzen Zeit hatte bewerkstelligen können. »In einem Patrouillenfahrzeug um ein Viertel des Planeten, nur wegen eines ›möglichen‹ Auftauchens von Schmugglern!«
»›Während die wahren Kriminellen offen ihren Geschäften in Karbunkel nachgehen und uns ins Gesicht lachen.‹« Gundhalinu zitierte das Ende der Unterhaltung vom Vortag mit einem besorgten Lächeln. »Ja, Ma'am, das stinkt zum Himmel.« Er umklammerte das Steuer. »Aber wenn wir wirklich jemanden erwischen, der den Eingeborenen verbotene Waren verkauft .. . Kürzlich haben wir damit schon für gehörig Aufregung gesorgt.«
»Bei der Königin.« Jerushas Mundwinkel zuckten, als sie sich an die von der Königin zur Schau gestellte Scheinheiligkeit erinnerte, die sie während der letzten Audienz hatte erdulden müssen.
»Das verstehe ich nicht, Inspektor.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie
will
so viel Technik als möglich auf Tiamat haben, schließlich redet sie doch immer von ›technologischer Unabhängigkeit‹. Sie würde es doch kaum kümmern, ob dabei illegale Mittel im Spiel sind. Verdammt, eigentlich müßte ihr das doch sogar gefallen.«
»Sie kümmert weder Tiamat, noch die Technik, noch sonst etwas, sondern einzig und allein die Frage, welche Auswirkungen das alles auf ihre Position haben könnte. Einige der Schmuggelgüter waren ihr eben in letzter Zeit hinderlich.«
»Schwer vorstellbar, wie?« Gundhalinu veränderte behutsam seine Position hinter den Kontrollen.
»Überhaupt nicht. Nicht alle Händler sind harmlose Narren.« Sie hatte die Berichte über Schmuggel im Winterland mit Interesse und weit mehr als Sympathie gelesen. Die wenigen unabhängigen Schmugglerschiffe, denen es gelang, das planetare Abschirmnetz der Hegemonie zu durchbrechen, konnten mit ihrer Ladung an Informationsbändern und technischen Anweisungen, Energiezellen und schwer zu beschaffenden Ersatzteilen kleinere Gewinne erzielen. Es gab immer wohlhabende Winteradlige, die geheime Labors in ihren Inselfestungen hatten und darauf versessen waren, oder selbsternannte wahnsinnige Wissenschaftler, die versuchten, das Geheimnis
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