Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
die Arbeit an der Maske der Sommerkönigin bereits begonnen?«
»Eure Majestät.« Fate beugte feierlich den Kopf. »Dank Funke komme ich mit meiner Arbeit besser als angenommen voran. Aber die Zeit der Sommerkönigin ist noch nicht gekommen.« Sie lächelte. »Noch regiert Winter. Achtet gut auf meinen Musiker. Ich werde ihn vermissen.«
»Ich werde besonders gut auf ihn achtgeben«, sagte die Königin leise.
Funke trat zur Tür, packte die Flöte in seinen Beutel am Gürtel, dann nahm er impulsiv Fates Hand in seine und küßte sie auf die Wangen. »Ich werde dich besuchen kommen.«
»Das weiß ich.« Sie nickte. »Aber nun laß deine Zukunft nicht warten.«
Er richtete sich wieder auf und wandte sich der Königin zu, blinzelnd, als Realität und Vision einander überlagerten. Ihre Gefolgschaft schloß ihn ein wie die Blütenblätter einer fremden Blume, und so nahmen sie ihn mit sich fort.
9
»Ich werde ihn bitten, mich mitzunehmen. Ich kann nicht mehr länger hier warten. Es ist ohnehin bereits zuviel Zeit verstrichen.« Mond stand am Fenster der Hütte ihrer Großmutter und blickte durch das wellige Glas auf die Stadt. Ihre Mutter saß an dem schweren Holztisch, wo ihre Großmutter Fische säuberte. Mond hatte ihnen den Rücken zugekehrt, beschämt, daß sie diese Unterstützung benötigte, um ihre Willenskraft zu stärken. »Dieser Händler wird erst in einigen Monaten wieder zurückkehren. Denkt doch daran, wie lange es schon her ist, seit Funke mich zu sich rufen ließ!« Sie war fast genau einen Monat zu spät angekommen. Der Händler, der die Nachricht überbracht hatte, war bereits wieder unterwegs gewesen. Ihre Finger wurden weiß vor Anstrengung, als sie das Regal umklammerte, auf dem die Muscheln lagen, die sie und Funke als Kinder gesammelt hatten. Es würde lange dauern, bis wieder ein Schiff von Karbunkel diese abgelegenen Inseln ansteuerte, ihre einzige Hoffnung konzentrierte sich auf Shotover Bay, hart an der Wintergrenze, doch das war eine lange Reise, die sie unmöglich alleine bewerkstelligen konnte.
Doch in den Feldern jenseits des Dorfes war gerade ein Mann damit beschäftigt, ein Schiff zu reparieren, das fliegen konnte. Kein Winter, sondern ein waschechter Außenweltler, der erste, der jemals seinen Fuß auf Neith gesetzt hatte, ein Mann mit einer Haut von der Farbe des Messings und merkwürdigen, überschatteten Augen. Sein Schiff hatte eine Notlandung gemacht; sie hatte es am Morgen landen sehen, als sie noch mitten unter den Dorfbewohnern gestanden hatte, um deren aufgeregte Fragen zu beantworten. Sie war erleichtert und auch ein wenig stolz gewesen, daß sie ihnen aus ihrem eigenen Wissen hatte mitteilen können, was das für ein Ding war, und daß sie keine Angst davor zu haben brauchten.
Auch der Außenweltler war erleichtert darüber gewesen, daß die Inselbewohner soviel von Technik verstanden, um nicht in Panik zu geraten. Während sie ihm zugehört hatte, war Mond klar geworden, daß er sich unter ihnen mindestens ebenso unwohl fühlte, wie sie sich angesichts seiner Gegenwart auch. Auf sein brüskes Drängen hin waren sie alle weggegangen und hatten ihn in Frieden arbeiten lassen, wahrscheinlich insgeheim von der Hoffnung beseelt, er würde schon von ganz alleine wieder verschwinden, wenn sie ihn ignorierten.
Aber sie mußte jetzt handeln, bevor er wieder verschwand. Er mußte auf dem Weg nach Karbunkel sein, denn dort kamen alle Außenweltler her. Wenn er sie dorthin mitnehmen würde ...
»Aber Mond, du bist jetzt eine Sibylle«, mahnte ihre Mutter.
Zornig, weil schuldbewußt, wandte sie sich ihnen zu. »Ich werde meine Pflichten nicht verletzen! Sibyllen werden überall gebraucht.«
»Aber nicht in Karbunkel.« Die Stimme ihrer Mutter bebte. »Ich fürchte nicht um deinen Glauben, Mond, sondern um deine Sicherheit. Du bist jetzt eine Tochter des Meeres. Ich kann dir nicht mehr verbieten, dein eigenes Leben zu leben. Aber sie wollen in Karbunkel keine Sibyllen haben. Wenn sie herausbekommen, was du bist ...«
»Ich weiß. Sie biß sich auf die Lippen, als sie sich an Danaquil Lu erinnerte. »Ich weiß Bescheid. Ich werde das Kleeblatt verbergen, solange ich dort bin, damit es niemand zu Gesicht bekommt.« Sie nahm es mitsamt der Kette in die hohlen Hände. »Bis ich ihn gefunden habe.«
»Es war falsch von ihm, dich zu sich zu bitten.« Ihre Mutter stand auf und ging ruhelos um den Tisch herum. »Er muß doch wissen, daß er dich damit in Gefahr bringt. Würde
Weitere Kostenlose Bücher