Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
strich mit der Hand über die glatte Metallhaut des Fahrzeugs und rang – zum wievielten Mal? – die Erkenntnis nieder, daß es sie in weniger als einem Tag zu Funke hätte bringen können .. . Ihr Lächeln erlosch.
»Aber achte bitte darauf, daß du ein Schiff mit weiblicher Besatzung findest. Einige der Wintermänner haben die schlechten Angewohnheiten des Abschaums vom Raumhafen angenommen.«
»Ich verstehe nicht ... Oh.« Sie nickte, denn nun erinnerte sie sich auch daran, weshalb ihre Großmutter sie davor gewarnt hatte, ein Händlerschiff zu betreten. »Das werde ich tun.« Obwohl Ngenet ein Außenweltler war, sprach er, als bedeutete ihm sein eigenes Volk auch nicht mehr als Sommer- oder Wintermenschen. Sie hatte ihn auch nicht danach gefragt. Sie fürchtete sich zwar nicht mehr vor seiner Bärbeißigkeit, aber sie war auch noch nicht bereit, ihr zu begegnen. »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken ... «
Er betrachtete über die Hafenkulisse hinweg stirnrunzelnd den Sonnenuntergang. »Keine Zeit. Ich komme ohnedies schon einen halben Tag zu spät zu meiner Verabredung. Geh also einfach nur ... «
»He, Turteltäubchen, laß den ollen Knacker sausen, wir können dies auf jeden Fall
besser
besorgen!« Einer der beiden Wintermänner, die entlang des Kais auf sie zugeschlendert waren, kam mit ausgestreckten Armen und lüstern grinsend auf sie zu. Doch als sie sich umdrehte, um zu einer bissigen Antwort anzusetzen, sah Mond, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Er zog seinen Kumpan mit hastigen Bewegungen zurück, wobei er dem anderen etwas ins Ohr murmelte. Sie eilten weiter, ein paarmal noch blickten sie sich verstohlen um.
»W-woher wußten sie es denn?« Mond preßte eine Hand gegen ihren Mantel.
»Was?« Ngenet hatte noch immer die Stirn gerunzelt; die Runzeln vertieften sich noch, als er den beiden nachblickte.
»Daß ich eine Sibylle bin.« Sie griff unter ihre Kleidung und holte das Amulett samt Kette hervor.
»Was bist du?«
Er wandte sich rasch zu ihr um und nahm sogar das Kleeblatt in die Hand, als müßte er sich von seiner Realität selbst überzeugen. Dann ließ er es hastig wieder los. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich wußte nicht ... ich meine, ich ... «
»Das genügt.« Er hörte ihr überhaupt nicht zu. »Du wirst hier heute nacht nicht alleine bleiben. Du kommst mit mir, Elsie wird das verstehen.« Er umklammerte ihren Oberarm mit einer Hand und zog sie mit sich. Sie schritten über das Pflaster zur Stadtseite des Kais.
»Wohin gehen wir? Halt, warten Sie!« Von ohnmächtigem Zorn erfüllt stolperte Mond hinter ihm her. Er bog in die nächste Straße ein. Sie sah ein Licht auf einem schlanken Pfahl, dann noch eins und noch eins, wie übergroße, flammenlose Kerzen.
»Ich verstehe nicht.« Sie senkte die Stimme. »Glauben Sie an die Herrin?«
»Nein, aber an dich.« Er führte sie zu einem Gehweg. »Sie sind ein Außenweltler!«
»Richtig, das bin ich.«
»Aber, ich dachte ... «
»Frag nicht, geh einfach weiter! Daran ist überhaupt nichts Seltsames.« Er ließ ihren Arm los, sie blieb dicht an seiner Seite. »Fürchten Sie sich denn nicht vor mir?«
Er schüttelte den Kopf. »Laß dich jetzt aber nicht hinfallen und entblöße nicht dein Knie, sonst könnte ich schwach werden.« Sie sah ihn ausdruckslos an.
Hinter ihnen landete ein weiteres Flugzeug am Kai, das mit den Insignien der Polizeitruppe der Hegemonie geschmückt war. Aber er blickte sich nicht um, daher konnte er auch nicht sehen, daß es neben seiner Maschine landete.
»Wohin gehen wir?« Mond zwängte sich an einer Gruppe lachender Seeleute vorbei.
»Zu einem Freund.«
»Etwa einer Frau? Wird es ihr nichts ausmachen ... «
»Das ist Geschäft, kein Vergnügen. Vergiß deine eigene Angelegenheit nicht, wenn wir da sind.«
Achselzuckend streckte Mond ihre klammen Hände in ihre Taschen. Mit dem Sonnenuntergang sank auch die Temperatur, mittlerweile konnte sie bereits ihren Atem sehen. Sie betrachtete neugierig die Front ein- und zweistöckiger Gebäude, mehr Gebäude, als sie je auf einem Fleck gesehen hatte, und doch waren sie seltsam vertraut in der Form. Gemauerter Stein und Holzbalken ergänzten einander, und dazwischen sah sie hin und wieder auch eine Wand, deren Beschaffenheit an getrockneten Schlamm erinnerte. Eine Unzahl exotischer Geräusche drangen an ihre Ohren, während sie eine Taverne nach der anderen passierten. »Wie konnten sie denn nur erkennen, was ich bin, wenn du das
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