Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
ihn umgaben. Mit jedem Moment, der verstrich, wurde das schimmernde Gespinst in der Ferne realer, wuchs sich aus zu einer bedrohlichen Barriere, einer Warnung.
Indem sie höherstiegen, um der Herausforderung zu trotzen, entpuppte sich die Bergkette als eine gigantische Trümmerhalde, wie wenn ein wahnsinniger Riese Steinbrocken von der Größe eines Hauses aufgetürmt hätte in dem sinnlosen Versuch, Eindringlinge abzuschrecken.
»Und über dieses Gelände sind Sie tatsächlich gefahren?« wandte sich Reede staunend an Gundhalinu.
»Ja. Über jeden verdammten Millimeter.«
»Das muß ja eine höllische Strapaze gewesen sein«, erwiderte Reede halb neidisch, halb anerkennend.
»Stimmt«, gab Gundhalinu zu. »Es war die Hölle.« Schweigend betrachtete er die grauen, chaotischen Gesteinstrümmer. »Und ich als Mechaniker sorgte dafür, daß der Rover lief.« Er lachte kurz auf. »Manchmal kam ich mir wie ein Zauberkünstler vor, aber World's End lehrt einen, bescheiden zu sein.«
Reede lehnte sich zurück und stellte sich bildlich vor, wie Gundhalinu unter einem stehengebliebenen Rover lag und versuchte, ihn unter diesen widrigen Umständen wieder in Gang zu bringen. Fasziniert schaute er aus dem Fenster, gespannt, welche Anblicke sich ihm noch bieten würden, während das gequälte Land unter ihm vorbeihuschte.
Hinter dem Gebirgszug entdeckte er das wahre Herz von World's End: eine Ebene aus Sand und Steinen; die ständige Hitze hatte den schlammigen Boden zu harten Krusten gebacken, hin und wieder glitzerten Bänke aus unberührten Mineralvorkommen. Er hätte nie gedacht, daß hier Leben existieren konnte, doch büschelweise wuchsen kümmerliche, bizarre Pflanzen, über die Gegend verteilt wie Exkremente. In scheinbar unerreichbarer Ferne ragte eine neue Bergkette auf, deren Gipfel sich in die Rauchfahnen von Vulkanen hüllten.
In der Datenbank des Rover war kein Flugplan eingespeichert. Gundhalinu gab Niburu die Route bekannt, indem er sich an geographischen Punkten orientierte oder vielleicht durch einen mysteriösen sechsten Sinn gelenkt wurde. Er behauptete, in dieser Gegend könne man sich nicht auf Instrumente verlassen, und außerdem sähe World's End jedesmal anders aus.
Die vom Stardrive-Plasma ausgehenden Wellen verzerrten in einem Umkreis von mehreren hundert Kilometern das elektromagnetische Spektrum und die Raumzeit. Reedes rational arbeitender Verstand analysierte die Parameter, die solche Phänomene hervorriefen, doch wenn er daran dachte, daß er das alles in Wirklichkeit sehen würde, schauderte ihm vor Angst und Ehrfurcht.
»Was hat Sie hauptsächlich veranlaßt, hier herauszufahren?« erkundigte sich Reede. Für ihn war es nur schwer vorstellbar, daß ein hochgeborener Kharemoughi freiwillig etwas tat, das Entbehrungen, Opferbereitschaft und körperliche Strapazen erforderte. Er wußte, daß Gundhalinu ein ›Blauer‹ gewesen war, bevor er das Geheimnis des Feuersees lüftete; aber eine Offizierslaufbahn bei der Hegemonischen Polizei hatte nichts mit einer impulsiven Entscheidung zu tun. Auf Kharemough war es ein ehrenvoller Beruf, den selbst Techs ausüben durften; er entsprach ihrem Bedürfnis nach Ordnung. Sich als unabhängiger Prospektor jedoch in einen klapperigen Rover zu setzen und nach World's End aufzubrechen, war der Gipfel der Unvernunft. »Hatten Sie damals schon eine Ahnung, was der Feuersee in Wirklichkeit ist?«
»Nein«, erwiderte Gundhalinu, ohne Reede dabei anzusehen. »Ich wußte nicht, was ich vorfinden würde, mein einziges Bestreben war, meine Brüder zu finden. Ich hielt es für meine Pflicht der Familie gegenüber, sie zu suchen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es war eine Ehrensache.«
Überrascht lauschte Reede den steifen, geschraubten Formulierungen und fragte sich, was Gundhalinu ihm verschwieg, was er nicht über die Lippen brachte. Er spürte, daß er sich innerlich vor ihm abschottete und eine Mauer des Schweigens errichtete. Er selbst, Reede, hatte stets das gleiche getan, wenn Gundhalinu versucht hatte, ihm menschlich näherzukommen. Dabei war es ihm egal gewesen, ob Gundhalinu sich gekränkt fühlen würde oder nicht. Unter den gegebenen Umständen war es ohnehin das beste, wenn sie ihre Beziehung so unpersönlich wie möglich hielten. Trotzdem wunderte er sich, wie sehr ihn Gundhalinus abweisende Haltung traf.
Aus Trotz wollte er das Gespräch aufrechterhalten. »Und was war mit Ihren Reisegefährten?« fragte er. »Wer waren sie, und was
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