Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
nirgends zu entdecken. Er hoffte, er würde sie wiederfinden, bevor das Fest vorbei war, und mit einem beinahe schuldbewußtem Vergnügen freute er sich auf ihre Begegnung.
»Ah ...«, machte Jarsakh neben ihm, als ein glänzender Servo ihr ein paar Worte ins Ohr flüsterte. »Gleich beginnt der unterhaltsame Teil des Abends. Den besten Platz haben wir für Sie reserviert ... ich hoffe, Sie mögen Kunst?«
»Sehr sogar«, erwiderte er. »Offen gestanden hatte ich in den letzten Jahren nur wenig Gelegenheit, mir künstlerische Darbietungen anzuschauen.«
»Heute abend bekommen Sie mehr als das, Sie dürfen sogar bei der Vorstellung mitmachen!«
Voll freudiger Erwartung ließ er sich von ihr durch eine zischend atmende Tür nach draußen auf den Patio bringen.
»BZ!«
Abrupt erlosch sein Lächeln. Er drehte sich um und spähte in die buntwogende Menge. Am liebsten hätte er laut geflucht, doch er schluckte die bitteren Worte hinunter wie Erbrochenes. »Entschuldigen Sie mich, CMP«, wandte er sich an Jarsakh und ließ sie stehen. »Vhanu!« raunte er, wobei er sich beherrschen mußte, um nicht laut zu brüllen. »Was machen
die
hier?«
»Wen meinen Sie, Kommandant?« Er folgte seinem Blick.
»Meine Brüder.« Als sie schnurstracks auf ihn zusteuerten, wie nicht anders zu erwarten war, verkrampften sich seine Muskeln, als wappne er sich gegen einen Angriff.
Vhanu registrierte die Antwort und blickte verständnislos drein. »Ihre Familie, Sir ... Wollten Sie sie denn nicht hier haben?«
»Nein, ich wollte nicht, daß sie herkommen, und ich will nicht, daß sie bleiben. Meine Brüder ...«
Sie haben versucht, mich zu ermorden.
»Wir verstehen uns nicht.«
»Das tut mir leid, Kommandant.« Vhanu blickte halb verlegen, halb neugierig drein. »Aber sind sie nicht Ihre einzigen nahen Verwandten? Ihr ältester Bruder ist doch das Oberhaupt der Gundhalinu-Familie, wir hätten sie schlecht ausschließen können ...«
Gundhalinu gab ihm einen Wink, er solle still sein, denn Jarsakh und ihr Mann gesellten sich wieder zu ihnen. »Ist alles in Ordnung, BZ?«
»Ja, natürlich«, entgegnete er ein wenig zu schroff.
»BZ ...« Sein ältester Bruder, HK, war als erster bei ihm. HK war wieder so fett wie früher, bevor er in World's End an Gewicht verloren hatte. Er trug die korrekte Familienuniform; sie war weit geschnitten und kunstvoll drapiert, um seinen feisten, schlaffen Körper möglichst vorteilhaft aussehen zu lassen. »Götter, welch ein Wunder! – Ihr seid daheim, und die Familie ist wieder vereint. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie stolz es mich macht, diesen Abend gemeinsam mit Euch verbringen zu dürfen ...« Während er sinnloses Zeug schwafelte, drückte er viel zu heftig Gundhalinus Hand, die dieser halb grüßend, halb abwehrend, hochgehoben hatte.
Gundhalinu sah, wie sein Bruder auf das Handgelenk schielte und heimlich nach den Narben suchte, den sichtbaren Zeichen für seine Schande. Doch die Narben waren verschwunden – genauso wie die Illusionen, die Gundhalinu sich einst über seine Brüder – und über sein eigenes Leben – gemacht hatte.
SB, der mittlere Bruder, lauerte hinter HK wie ein Schatten; im Gegensatz zu dessen Geschwätzigkeit hüllte er sich in gemessenes Schweigen.
»SB ...«, sagte Gundhalinu mit einem knappen Nicken, ohne seine Hand zum Gruß zu heben.
»Wie geht es Euch, kleiner Bruder?« murmelte SB mit tonloser Stimme; in seinen Augen glühte der Neid.
»Danke, gut, ich habe mich wieder vollkommen erholt«, erwiderte Gundhalinu und hielt dem kalten, starren Blick seines Bruders stand. Die Narben, die das verräterische Treiben seiner Brüder auf seiner Seele hinterlassen hatten, waren schwerer zu beseitigen als die selbst zugefügten Male.
»Das sehe ich«, entgegnete SB. »Wie schön für Euch. Heute abend tragt Ihr also das Familienwappen? Ist das nicht ein bißchen verfrüht?»
Gundhalinu wandte sich von SB ab, und glücklicherweise hörte HKs kriecherisches Geschwätz endlich auf. »Ich freue mich, wieder daheim zu sein«, sagte Gundhalinu, dem selbst diese leeren Worte nur schwer über die Lippen kamen. Noch war er im Lügen zu ungeübt, um sich eine persönlichere Bemerkung abzuringen. Oberflächlich machte er seine Brüder mit den Pernattes bekannt, denn ein Versäumnis dieser Art wäre nicht nur ein gesellschaftlicher Fauxpas, sondern auch unerklärlich gewesen. Die Pernattes schauten ohnehin schon befremdet drein; Vhanu machte ein Gesicht, als suche er nach
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