Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Sprache zu erlernen; Kedalion beherrschte mehrere Fremdsprachen. Aber es war schwierig, sich in einem konstruierten Kommunikationsmedium wie Trade elegant auszudrücken, und daß ausgerechnet Reede dieser Kunst mächtig war, wollte Kedalion nicht in den Kopf. Während er ihn anschaute, fragte er sich, woher, zum Teufel, ein Typ wie er wohl kommen mochte. Reede erwiderte seinen Blick mit einer beinahe nachdenklichen Miene. »Du lebst also nach dem Codex der Ganovenehre?«
Kedalion lächelte und zog es vor, die Frage zu ignorieren. Statt dessen erkundigte er sich: »Wie bist du eigentlich an diesen Stoff gekommen?« Reede zuprostend, führte er das Wasser des Lebens zum Mund. Das würzige Aroma stieg ihm in die Nase, wie geschmolzenes Silber ruhte die Flüssigkeit in dem Becher.
Reede zuckte die Achseln. »Ich hab die Flasche an der Bar gekauft.«
»Von Ravien?« staunte Kedalion. »Dieser Schuft.« Er zeigte auf sein Getränk. »Zu mir sagte er, das sei das beste was er hätte; seit Jahren dreht er mir diese Brühe an.«
Reede grinste breit. »Das macht er mit jedem so. Du mußt ihm nur die richtigen Fragen stellen ...« Er befingerte ein teuer aussehendes, mit Steinen besetztes Ohrgehänge, riß es mit einem jähen Ruck ab, als sei es glühendheiß, und warf es angewidert auf den Tisch.
Kedalion blickte nervös zur Seite. »Ach so«, murmelte er. Er begann sich zu fragen, wie alt Reede sein mochte, er mußte jünger sein, als er ihn anfangs eingeschätzt hatte. Sein Gesicht war auffallend hübsch, und wie durch ein Wunder hatte ihm noch niemand das Nasenbein gebrochen. Es war das Gesicht eines jungen Mannes von Anfang zwanzig, kaum älter als Ananke und gut zehn Jahre jünger als er selbst. Der Gedanke deprimierte ihn. Aber vielleicht wirkte Reede durch seine knabenhaften Züge und die legere Kleidung auch jünger als er war, sein Auftreten und sein offenkundiger Status deuteten auf eine gewisse Reife hin. Doch egal, wie alt Reede sein mochte, Kedalion hätte wetten mögen, daß jemand mit seinem Temperament nicht sehr viel älter werden konnte.
Finster vor sich hinbrütend saß Reede da und biß sich auf den Daumennagel. Als er merkte, wie Shalfaz seinen Ohrring anstarrte, schob er ihn ihr mit einer raschen Bewegung zu. Nach kurzem Zögern nahm sie ihn mit ihren langen, schmalen Fingern und befestigte ihn an ihrem Ohrläppchen. Mit ernster Miene schaute sie Reede an. Er lächelte, nickte, und dann lächelte auch sie. Ananke beobachtete sie schweigend; er schien kaum zu atmen.
Kedalion stieß einen Seufzer aus und hob abermals einen Becher. »Auf gute Geschäfte«, sagte er hoffnungsvoll. Die beiden Ondineaner prosteten ihm zu.
»Auf ein glückliches Schicksal«, sagte Shalfaz, während sie immer noch den Ohrring befingerte.
Als Kedalion den Becher an die Lippen führte, brach hinter ihm plötzlich ein lautes Getöse los. Hastig drehte er sich um. Gleichzeitig mit ihm wandten sich an die hundert Augenpaare zur Tür, woher der Lärm kam. Stühle wurden quietschend über den Boden gerückt, die Leute fanden ihre Stimmen wieder, und im Raum brach das Chaos aus.
»Verdammter Hurensohn«, knurrte Reede. »Eine Razzia.« Er lehnte sich zurück, kreuzte die Arme über der Brust und sah aus wie ein Mann, der lediglich einen Regenschauer abwarten will.
Kedalion und die beiden Ondineaner tauschten Blicke; alle drei waren zutiefst erschrocken. Kedalion war noch nie dabei gewesen, wenn die Kirchenpolizei eine Razzia in einem Club machte und er wollte es auch nicht erleben. Er hatte gehört, daß sie mit Außenwelt-lern noch brutaler verfuhren als mit den Einheimischen. Fremde unterstanden zwar der Jurisdiktion der Hegemonie, doch die kirchlichen Inquisitoren hielten es meistens nicht für nötig, eine andere Instanz als ihre eigene einzuschalten.
Ein halbes Dutzend bewaffneter, uniformierter Männer hatte sich vor dem Ausgang postiert und blockierte ihn. Forschend spähten sie in die Menge, als suchten sie nach einer bestimmten Person. Wie immer in solchen Situationen machte sich Kedalions Paranoia bemerkbar, und eine eiskalte Faust umklammerte seinen Magen. Es war ungeheuer egozentrisch zu glauben, daß sie in dieser Menge ausgerechnet nach ihm Ausschau hielten, aber er konnte die plötzlich aufwallende Furcht nicht unterdrücken.
Dann trat ein Einheimischer aus der Gruppe von Polizisten hervor – es war einer der Jugendlichen, die Ravien aus dem Club hatte werfen lassen. Er hob den Arm – und zeigte direkt auf
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