Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
einen Tisch aus, der möglichst weit vom Schauplatz des Streits entfernt stand. Ehe er Platz nahm, ging er noch einmal an die Theke zurück, um seine Flasche zu holen. Dabei sah er, wie die Wachleute des Clubs die Ondineaner zum Ausgang bugsierten. Zu seiner nicht geringen Verwunderung bemerkte er, daß Ravien den Fremden höchstpersönlich zur Bar geleitete, anstatt ihn mit den anderen abführen zu lassen. Aber schließlich hatte der Mann noch eine Flasche gut, und vielleicht wollte Ravien verhindern, daß sich vor seiner Tür die Leichen stapelten.
Im Vorbeigehen starrte der Fremde Kedalion neugierig an. Der tippte sich grüßend an die Stirn, worauf der Außenweltler ihn freundlich anstrahlte. Kedalion wandte rasch den Blick ab und ging an seinen Tisch. Nachdem er die Gläser vollgeschenkt hatte, fragte er Shalfaz: »Kennst du diesen Mann?«
Sie nickte und sah so beunruhigt aus, wie er sich fühlte. »Er kommt oft hierher, um sich die Show anzusehen. Aber er geht nie mit jemandem auf ein Zimmer, weder mit einem Jungen noch mit einer Frau. Normalerweise verhält er sich unauffällig und bleibt für sich.«
Kedalion holte tief Luft, schüttelte sein Unbehagen ab und wandte sich an den Jungen. »Shalfaz hat mir gesagt, daß du nach einer Möglichkeit suchst, diese Welt zu verlassen.« Der Junge nickte verlegen und schaute hoffnungsvoll drein. »Darf ich fragen, warum?« Kedalion blickte demonstrativ zum Ausgang, während ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel zuckte.
Der Junge schaute gleichfalls zur Tür, durch die man die Rowdies gewaltsam hinausgeschleppt hatte und verzog angewidert die Lippen.
Kedalion beobachtete ihn unauffällig. Verglichen mit den bulligen Typen, die den Streit vom Zaun gebrochen hatten, war er klein und schmächtig, obwohl er Kedalion immer noch überragte. Vielleicht hatte er es satt, sich von anderen herumstoßen zu lassen. »Nach welcher Art von Arbeit suchst du denn?«
Der Junge überlegte kurz, ehe er sagte: »Mir ist jede Arbeit recht.« Kedalion schmunzelte verstohlen und vermerkte in Gedanken, daß der Junge nicht nach einer ›ehrlichen‹ Arbeit gefragt hatte. Vermutlich wußte er, daß er so etwas in einem Lokal wie diesem ohnehin nicht finden würde.
»Was kannst du denn?«
Der Junge zog die Stirn kraus. »Ich bin flexibel.« »Körperlich oder geistig?«
»Sowohl als auch.« Er blickte stolz drein.
Dieses Mal lachte Kedalion laut auf. »Das ist einmalig«, meinte er. »Und natürlich von Vorteil.« Der Junge trug den üblichen Krummdolch, eine rituelle Waffe, wie alle einheimischen Männer, obwohl seiner genauso schlicht und billig aussah wie seine Bekleidung. Außerdem war er noch mit einem ziemlich ungewöhnlichen Stunner bewaffnet, der in den Falten seiner Tunika fast verschwand. »Hast du schon mal jemanden getötet?« Kedalion fragte sich, ob der Junge Ondinee vielleicht deshalb verlassen wollte, weil er etwas auf dem Kerbholz hatte. Allerdings war ihm nicht entgangen, wie vernünftig er sich bei dem Streit vorhin verhalten hatte, als er Shalfaz vor den Männern beschützen wollte – er war kein Feigling, aber ein Heißsporn war er auch nicht.
Der Junge zuckte ein" bißchen zusammen, wie wenn er sich beleidigt fühlte. Die meisten jungen Ondineaner, die Kedalion kannte, waren genausooft in Messerstechereien verwickelt wie sie eine Wasserpfeife rauchten. Diese Klingen waren kein Zierrat, sie konnten einen Mann aufschlitzen wie eine reife Frucht. Ohne eine fortschrittliche medizinische Technologie wäre Ondinee binnen weniger Generationen entvölkert. »Ich möchte niemanden töten«, entgegnete der Junge, »aber wenn es sein müßte, könnte ich es.«
In der Miene des Jungen stand nichts von Arroganz, doch Kedalion spürte, daß er es ernst meinte.
»Und wie ist es mit dir? Hast
du
schon jemanden umgebracht?« fragte der Junge unverblümt.
»Ich trachte anderen Leuten nicht nach dem Leben«, erwiderte Kedalion achselzuckend. »Ich bin nichts weiter als ein Laufbursche.«
Verstohlen spähte der Junge auf Kedalions Beine.
»Das war im übertragenen Sinn gemeint. Wie du selbst siehst, bin ich fürs Laufen nicht gut geeignet.« Um die Lippen des Jungen huschte ein Lächeln. »Ich bin Händler und transportiere Waren von einem Planeten zum anderen. Dabei komme ich viel herum. Meine Geschäfte sind seriös, aber nicht alle meine Kunden sind ehrlich. Meine Mutter – möge sie in Frieden ruhen – hätte gesagt, ich würde schlechten Umgang pflegen. Wie
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