Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
dafür hatte Reede gesorgt, indem er verbreiten ließ, Kedalion sei bereits ihm verpflichtet. Die
Prajna
war beschlagnahmt wegen der Hafengebühren, und mit jedem Tag wurden seine Schulden größer, deshalb schluckte er schließlich seinen Stolz und verkaufte sich – und den willigen Ananke – in diese goldene Knechtschaft.
Er seufzte und verdrängte die Erinnerungen daran in einen hinteren Winkel seines Gehirns, in der Hoffnung, sie eines Tages zu vergessen. Trotz allem mußte er zugeben, daß es schlechtere Jobs gab, und daß seine Situation so schlimm gar nicht war. Zum Beispiel hätte er der Dealer sein können, der jetzt auf der anderen Seite der Mauer verprügelt wurde, daß ihm Hören und Sehen verging.
Er rückte ein bißchen weiter in den Schatten des Hovercraft. Die Hitze machte ihn schwindlig; der Schweiß, der sich auf der Haut bildete, trocknete sofort, ohne jedoch Kühlung zu verschaffen. Wenigstens schlug das Wetter nie um, auf die Hitze konnte man sich verlassen, sie war immer da. Für ihn war Razuma fast so etwas wie eine Heimat geworden, und nach ihrem letzten Abstecher in die Außenwelt war er froh gewesen, als sie in die Stadt zurückkehrten.
Seine Reisen mit Reede waren weder so häufig noch – so weit er es beurteilen konnte – so gefährlich wie seine früheren Solo-Unternehmen. Bis jetzt waren sie erst zweimal in der Außenwelt gewesen. Und die Entlohnung war verdammt gut, wie Reede es ihm versprochen hatte. Aber die Tatsache, daß er nie wußte, welchem Zweck diese Ausflüge dienten – er hatte nicht einmal den leisesten Schimmer, denn Reede hielt dicht, und die Reisen selbst gaben keine Aufschlüsse –, zerrte an seinen Nerven. Desgleichen der Umstand, daß sie die meiste Zeit auf Ondinee festsaßen, und er für einen Manisch-Depressiven den Luxus-Chauffeur spielen mußte.
Andererseits hatte er entdeckt, daß seine Tätigkeit für Reede ihn vor Belästigungen durch Einheimische schützte, und ihm Zugang zu Örtlichkeiten und Vergnügungen verschaffte, die er auf diesem Planeten im Traum nicht vermutet hätte. Nicht überall auf Ondinee ging es zu wie in Razuma. Reede hatte sie in einen Erholungsort in den Bergen mitgenommen, und das Panorama dort würde er nie vergessen; sie hatten eine Stadt auf South Island besucht, wo das Meer warm war wie Badewasser und eine aquamarinblaue Färbung besaß.
Dann waren sie zu einer Siedlung im Orbit geflogen, die über die besten Spielsimulatoren verfügte, die er je gesehen hatte. Kedalion entsann sich, wie er Reede eines Nachts beim Spielen zugeschaut hatte. Es war wie ein Ballett im freien Fall gewesen, Reedes vollkommene Reflexe und sein brillanter Verstand hatten ihn scheinbar mühelos gewinnen lassen. Reede hatte ihnen einen Spielerkredit in unbegrenzter Höhe eingeräumt, und ihre Verluste zehrten seine Gewinne beinahe auf. Doch hinterher hatte Reede schlechte Laune gehabt, wie wenn er verloren anstatt gewonnen hätte, oder als ob das Gewinnen keinen Spaß mehr machte, wenn man niemals ein Spiel verlor.
Andererseits sahen sie meistens nur Tuo Ne'els Dornendschungel und Zitadellen, oder die Straßen von Razuma.
Kedalion forschte in der Menge nach Ananke, der sich auf der Suche nach Abwechslung auf dem Marktplatz herumtrieb. Dann sah er ihn, umringt von einer Horde Straßenbengel, wie üblich. Sie johlten und kreischten vor Begeisterung, während Ananke mit allem, was in seine Reichweite kam, jonglierte, akrobatische Verrenkungen vollführte und blödsinnige Liedchen sang. Statt einer Sandale trug er jetzt an einem Fuß einen speziellen Lederschuhling mit Ausstülpungen für die Zehen; es war ein alter Raumfahrertrick, um in Gegenden mit geringer Schwerkraft beweglicher zu sein. Bei den meisten Leuten, die Kedalion kannte, war dieser Fußling nur eine Affektiertheit, aber Ananke machte eine richtige Schau daraus. Selbst bei normaler Schwerkraft schien er manchmal drei Hände zu haben. Kedalion beobachtete ihn mit Bewunderung und gelindem Neid. Ein paar Erwachsene, die stehengeblieben waren, warfen ihm Münzen zu; Ananke ließ sie im Staub liegen, damit die Kinder sie aufsammeln konnten. Jeder wußte, daß er für die Außenweltler arbeitete – seine Verachtung für das Geld war der Beweis dafür.
Kedalion schüttelte den Kopf und lächelte kurz. Er faßte in die Tasche, holte den Huskball heraus und warf ihn von einer Hand in die andere. Ananke hatte sich in körperlicher wie in geistiger Hinsicht als fix und flexibel erwiesen – ganz,
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