Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Fragen, und sie konnte alle beantworten.
Mit der abschließenden Ermahnung, daß die Angelegenheit sehr dringend und geheim sei, überließ sie sie ihrer Arbeit. Dann ging sie durch die Säle in die oberen Etagen des Palastes zurück; vor Erschöpfung nahm sie die Büros, die Bibliotheken und die Studierzimmer kaum wahr. In der vergangenen Nacht hatte sie kein Auge zugetan, allein hatte sie in ihrem Bett gelegen und darauf gewartet, daß der Morgen anbräche, um dann bei Sonnenaufgang das Ritual zu vollziehen. Jetzt, wo sie alles getan hatte, was in ihrer Macht lag, worüber sie überhaupt noch Einfluß hatte, war selbst ihr Zorn, ihre stimulierendste Triebfeder, abgeflaut, und sie fühlte sich völlig verausgabt.
Im Geist sah sie wieder die
Ariele,
die Kirard Set Wayaways hinauf auf die offene See trug; er war der einzige ihrer Quälgeister gewesen, an dem sie sich hatte rächen können. Sie stellte sich vor, wie er halbertrunken und abgekämpft das Ufer erreichte, sich auf die Docks unter der Stadt hievte ... und sie sah sich selbst dort auf ihn warten, ein Messer in der Hand, im Begriff, ihr letztes an ihn gerichtetes Versprechen zu erfüllen ...
Angewidert schlug sie sich die Hände vors Gesicht; jeder Herzschlag hallte schmerzlich in ihrem Kopf wider, und das Kopfweh, das sich bereits seit dem frühen Morgen ankündigte, brach mit voller Wucht los. Den ganzen Tag lang hatte sie nichts gegessen, beim bloßen Gedanken an Nahrung wurde ihr übel. Als sie ihr Schlafzimmer erreichte, blieb sie stehen und stützte sich am Türrahmen ab, unfähig die Schwelle zu überschreiten.
Nach einer Weile ging sie durch den Korridor weiter zu Arienrhods Zimmer. Der Raum war noch genauso, wie die Schneekönigin ihn vor über zwanzig Jahren verlassen hatte; seit ihrem Tod hatte niemand darin geschlafen. Mond öffnete die Tür und spähte hinein.
»Brauchen Sie etwas, Herrin?« Eine Dienerin, die vorbeikam, zögerte und neigte den Kopf.
Mond sah die Frau an und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht wie eine Irre loszulachen.
Ob sie etwas brauchte? –
»Ich möchte mich ausruhen«, sagte sie schließlich mit gepreßter Stimme. »Ich will eine lange Zeit nicht gestört werden ...«
»Ja, Herrin.« Die Frau nickte respektvoll. Sie schaute auf die geöffnete Tür und schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann ging sie wortlos weiter.
Mond betrat das stille Zimmer. Die breiten Fenster waren von schweren Vorhängen bedeckt; der Raum erinnerte sie an eine Höhle, einen Mutterschoß, in den sie sich zurückziehen konnte. Sie zog sich aus und legte sich auf das muschelförmige Bett aus Perlmutt; als sie sich in die Decke einwickelte, spürten ihre Arme und Beine die Weichheit und Leere. Hier warteten keine Erinnerungen auf sie, keine Phantomarme streckten sich ihr entgegen, niemand flüsterte sanfte Worte, nie hatte die Hitze eines anderen Körpers sie hier gewärmt ...
Sie löschte das Licht, und die gespenstischen Schatten wurden von der Dunkelheit verschlungen; nun war es egal, ob sie die Augen offenhielt oder schloß. Endlich war sie ganz mit sich allein; sie verschränkte die Arme um ihren bebenden Leib und begann zu weinen, anfangs leise, dann herzzerreißend, weil keiner sie hören konnte; aber es war auch niemand da, um sie zu trösten oder ihr zu verzeihen.
Sie weinte, bis alle Kräfte sie verließen und sie regungslos dalag, im Halbschlaf. Sie wartete darauf, in den Schlummer hinüberzugleiten, mit schlaffen Gliedern und ohne bewußten Gedanken.
Doch statt dessen spürte sie, wie etwas von ihr Besitz ergriff – eine unglaubliche Kraft zerrte sie hinab in eine noch totalere Finsternis ...
Der Transfer.
Sie sträubte sich nicht und ließ sich fallen; durch die Dunkelheit stürzte sie hinein in einen Ort aus Licht und Geräuschen, an den sie sich erinnerte; ein fast unerträgliches Gefühl der Hoffnung keimte in ihr auf. (BZ –?) rief sie; sie sah ihre Stimme als kreisförmige Wellen aus ihrem Mund strömen. (BZ, wo bist du?)
(Nein ...) kam die Antwort, und ein fremder Geist berührte ihre Seele.
(Wer –?) dachte sie, denn etwas an diesem Kontakt kam ihr beinahe vertraut vor.
(KR Aspundh ...)
(KR –?) Wie Glockenschläge verteilte sich ihr Staunen im Raum.
(Ja, meine Liebe ...) Sein Gedanke fühlte sich sanft und freundlich an, wie die Hand eines alten Mannes, die flüchtig ihre Wange streichelte. (Nach langer Zeit. BZ erzählte mir, was aus dir geworden ist, was ihr alle erlebt habt ...)
(BZ – wo ist
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