Tief atmen, Frau Doktor!
enger Beziehung zur medizinischen Praxis. Ein schlechter Arzt vernachlässigt die psychische Verfassung der wartenden Patienten.«
»Ich bin kein schlechter Arzt. Du bist beleidigend.«
»Siehst du - du streitest schon wieder.«
»Hippokrates«, ertönte es von der Tür her, als Liz Arkdale hereinhastete.
»Hippokrates«, sagte Lucy gehorsam.
»Hippokrates«, sagte Fay.
Sie lächelten einfältig. Diese Anrufung des Vaters ihres Gewerbes war wirklich lächerlich.
»Zeit, daß ihr euch neue Vorhänge anschafft«, sagte Liz zu ihnen. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es zur Feier des englischen Weltsieges oder zur Krönung war, daß die alten Ärzte die vorhandenen Vorhänge reinigen ließen. Wenn ihr schon dabei seid, alles etwas aufzumöbeln, könnt ihr doch auf den niedlichen Bock, der an der Wand der Praxis hängt, verzichten. Und auf den Lachs - der mit Mayonnaise köstlich gewesen wäre, aber partout im Kunstgewerbe sein Glück machen will. Da ich wieder da bin, war meine erste Pflicht Mitrebury gegenüber, nachzusehen, wie ihr zurechtkommt.«
Es war einen Monat später, am St. Barnabastag Mitte Juni. Seit dem nächtlichen Drama auf dem Polizeirevier war Liz auf Urlaub in St. Tropez gewesen. »Ich nehme an, daß diese Publicity auch einen neuen Ansturm von Patienten gebracht hat?« vermutete sie.
»Die Publicity wurde dadurch etwas gemindert, daß das Mitrebury Echo entdeckte, daß das Gewehr nicht geladen und völlig verrostet war und seit Menschengedenken in der Bar des Goldenen Ochsen gehangen war«, erklärte Lucy.
»Vierundneunzig neue Patienten haben sich in der Praxis eingefunden«, teilte Fay Liz eifrig mit. »Was den Austritt der achtunddreißig Mitglieder des Frauenvereins mehr als wettmacht.«
»Herzlichen Glückwunsch. Lauter alte Geistliche mit Prostataleiden, nehme ich an?«
»Nein, aber sie scheinen tatsächlich alle dieselben Beschwerden zu haben.«
»Ach? Etwas Ansteckendes?« fragte Liz.
»Sehr.« Fay öffnete die Tür zum Wartezimmer, das sich langsam mit Patienten füllte. »Ich verstehe, was Sie meinen«, bemerkte Liz. Fast alle waren Frauen und fast alle von ihnen im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium. »Wenn ihr wollt, könnt ihr diese watschelnde Herde in meine Entbindungsstation im Krankenhaus treiben.«
»Aber sie wollen nicht ins Krankenhaus«, beklagte sich Lucy. »Sie sind ganz versessen darauf, vor dem eigenen Kamin zu gebären.«
»Ich kann ihnen das nicht verargen«, pflichtete Liz bei.
»Entbindungsstationen sind heutzutage so voller klinischer Apparaturen, daß sie wie Fließbänder für Hondas, nicht für Menschen, aussehen. Wie werdet ihr mit der Arbeit fertig?«
»Tatsache ist, daß wir zwei Ärztinnen sind, die die Arbeit von dreien leisten«, betonte Fay rechtschaffen.
»Hm. Eure Vorgänger waren reizende Männer, aber sie haben sich bei der Ausübung ihres Berufes nicht gerade ein Bruchleiden geholt. Warum holt ihr euch für den Sommer nicht einen Stellvertreter, der euch hilft? Dann habt ihr Zeit, Wanderungen über das Land zu machen oder das zu tun, wozu ihr euch eben aufschwingen könnt.«
»Aber ein guter Stellvertreter ist gleich schwer zu finden wie ein Fensterputzer«, sagte Lucy.
»Ich kann euch vielleicht helfen«, setzte Liz nachdenklich fort. »Ich habe gehört, daß eine meiner früheren Assistenzärztinnen im Augenblick nicht arbeitet. Dr. Janet Macgregor, sie ist mit einem Stabsarzt an Bord eines dieser Polaris-Unterseeboote verheiratet. Sie ist die Nichte von Admiral Sir Hugo Hennicker-Hewson, der ein Wochenendhaus drüben in Fenny Bottom hat. Ich werde sie in Schottland anrufen. Jetzt muß ich einige Kaiserschnittbabys auf die richtige Seite drehen. Bin in Eile.«
»Warum schauen Sie trübsinnig wie eine Plastikente mit einem Loch?« fragte Lucy Mr. Windows, während Liz ihren roten Ferrari auf heulen ließ.
»Die vormaligen Herren Doktoren hatten eine Praxis, die eines Gentleman würdig war. Und ich habe nicht viel für die Mutterschaft übrig«, entschuldigte er sich.
»Das ist ein Instinkt, den Sie entwickeln müssen«, sagte Fay heiter zu ihm. »Inzwischen ist Ihnen sicher zu Ohren gekommen, daß an der Geschichte mit dem Storch nicht allzuviel Wahres dran ist?«
»So einfach ist das nicht«, antwortete er mit einem in die Vergangenheit schweifenden Blick. »Ich erinnere mich an einen Schiffsarzt, den wir hatten, auf einer Kreuzfahrt in der Karibik. Ein pensionierter Stabsarzt, ein vornehmer Mensch, kerzengerade wie
Weitere Kostenlose Bücher