Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Hundeleinen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab noch ein bisschen mit Oma Ilse geredet.«
»Deswegen siehst du so fertig aus«, sagte Ricarda wenig mitfühlend. »Wir gehen mit den Hunden raus, okay?«
»Wieso geht ihr denn mit den Hunden raus?« Gerald war völlig konsterniert. »Das wäre ja das erste Mal!«
»Ihr lasst uns nur nie«, sagte Rolfie.
Das war natürlich Blödsinn.
»Sie gehen mit den Hunden raus, weil sie dann ungestört rauchen können«, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Weil sie was?« Gerald starrte mich an.
»Kleiner Scherz«, sagte ich, obwohl ich mir nicht so sicher war. Ich dachte an das zusammengeknüllte Päckchen in Rolfis Zimmer.
»Ihr raucht?«, wollte Gerald aufgebracht wissen. »Warum sagt mir das keiner?«
»Gerald, es war ein Scherz, jetzt beruhige dich!«
Ich gab Ricarda die Leinen. Ich schwöre, so schnell waren unsere Kinder noch nie von der Bildfläche verschwunden. Ich hatte wohl ein sensibles Thema angesprochen.
»Gundula, ich finde es nicht richtig von dir, mich bei solchen Familienthemen immer auszuschließen!«
Ich schaute ihn fragend an.
»Ja. Und in dem Fall wäre es mir sehr lieb, wenn ich da ein Wörtchen mitreden dürfte. Du bist in Erziehungsfragen zu lasch. Wenn die Kinder rauchen, müssen wir das mit ihnen ausdiskutieren.«
»Ja, Gerald, machen wir, aber nicht heute.« Ich ließ ihn einfach stehen und ging zu den andern ins Wohnzimmer. Natürlich würde mir Gerald jetzt wieder vorwerfen, dass ich mich um ernste Gespräche drückte. Aber ich wollte nur noch eines: feiern, solange ich noch wusste, wie das geht.
28.
Kapitel
»Hadi!« Roses Schrei gellte durchs Wohnzimmer.
Hans-Dieter, der sich einen Sessel in die Nähe der Heizung gerückt und sich entschieden hatte, sein Buch im Stillen zu lesen, weil ihm sowieso niemand zuhörte, sprang auf. »Rose!« Dann sank er neben ihr auf die Knie und nahm ihre Hand. »Rose, was ist, sag doch was!«
»Nein!« Rose klammerte sich an ihren Mann und richtete sich schnaufend auf.
»Autsch, nicht an mir festhalten, meine Bandscheiben!« Mein Bruder versuchte, sie loszuwerden, aber sie klammerte weiter und sagte dann mit aufgerissenen Augen den Satz des Abends: »Wir haben die Christmesse verpasst!«
»Wieso, es ist doch erst elf.«
»Aber wir müssen noch mit der U -Bahn hinfahren und kennen nicht mal den Weg!«
Hans-Dieter drehte sich zu mir um: »Gundel, hilf uns, wir müssen sofort los!«
»Kein Problem«, sagte ich und nahm noch einen Schluck. Ich würde mir jetzt einen schönen Abend machen. Der Rum schmeckte herrlich, mir wurde ganz warm ums Herz.
»Was willst du damit sagen? Kein Problem.«
»Wenn ihr sofort losmüsst, müsst ihr sofort los, ich hab damit kein Problem, vorausgesetzt, ihr findet allein wieder zurück.«
»Wir finden doch nicht mal allein hin!« Rose war bleich wie eine Wand. Sie würde sowieso mitten in der Christmesse kollabieren.
»Meine Güte, gibt es heute auch noch ein anderes Thema als diesen Kirchenbesuch? Singen könnt ihr doch auch hier!« Das war Susanne. Sie hatte ein altes Fotoalbum gefunden und versuchte, das Hirn meines Vaters wiederzubeleben, indem sie es mit ihm durchblätterte. Ich war skeptisch, was diese Methode betraf, aber er wirkte sehr zufrieden und sah sich die Bilder gern an.
»Es geht nicht ums Singen, Susanne«, sagte Rose, und ihre Stimme hatte einen belehrenden Unterton. »Es geht darum, dass der liebe Gott uns sieht.«
»Der sieht euch auch hier.«
Gerald war mit einer neuen Flasche Whiskey ins Wohnzimmer gekommen und hielt sie seiner Mutter hin.
»Mein Lieblingswhiskey! Schön, dass du dir das gemerkt hast! Edgar, den musst du kosten!«
»Na, wenn Sie das sagen, dann werde ich mich wohl fügen müssen …« Er schmunzelte.
»Edgar, du musst mich nicht ständig siezen, wir kennen uns seit vierzig Jahren.«
Dann wandte sie sich an mich: »Ich weiß bei ihm immer nicht, ob er spielt oder es ernst meint.«
»Ich glaube, es ist ernst, Susanne. Er kennt dich wirklich nicht mehr, aber er mag dich und findet es schön hier. Das ist ja die Hauptsache.«
»Wie grauenvoll. Der arme Mann. Man sieht ja, wie er jetzt aufblüht, wo sie mal nicht da ist.«
»Gundula, also ihr könnt uns bestimmt nicht zur Kirche fahren?«
Rose war hinter mich getreten und zupfte an meiner Bluse. Wie penetrant darf man sein, fragte ich mich.
»Nein, Rose, wir können euch nicht fahren, wir wollen euch auch nicht fahren. Lasst uns endlich mit der Scheiße
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