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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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die Küche, um Schaufel und Besen zu holen.
    Rose und Hadi drehten sich wortlos um und verließen das Haus. Ohne Mützen und Schals. Aber mit langen Gesichtern.

29.
    Kapitel
    Als ich unter dem Weihnachtsbaum kniete, um die Scherben einzusammeln, klingelte es an der Tür. Ricarda und Rolfi mit den Hunden. »Wir haben den Schlüssel vergessen!«, rief meine Tochter. Ich witterte Rauchduft an ihnen. Ich beschloss, am ersten Weihnachtsfeiertag ein paar Bilder über Zungen- und Lungenkrebserkrankungen aus dem Internet auszudrucken und ihnen morgens neben ihr Frühstücksei zu legen. Diskutieren ist nicht meine Stärke, da verlier ich meistens den Überblick. Aber eindrucksvolle Bilder haben oft durchschlagenden Erfolg.
    Wahrscheinlich werden Sie jetzt denken, was für eine Rabenmutter!
    Aber ich bin da anderer Meinung. Eine heftige Reaktion ist mir lieber als gar keine. Natürlich kann man jahrelang mit den Kindern über das Für und Wider bestimmter Experimente diskutieren, so wie Gerald das immer vorschlägt, aber das dauert mir zu lang. Ich erlebe erzieherische Erfolge lieber auf der Stelle.
    »Wir haben vorhin Papi gesehen. Er hatte gar keinen Mantel an und rannte an uns vorbei, als hätte er uns nicht gesehen«, sagte Ricarda. »Habt ihr euch wieder gestritten?«
    »Nicht schlimmer als sonst.« Was so nicht stimmte.
    Ich nahm ein paar Chipstüten für den Mitternachtssnack aus dem Schrank und verteilte sie in kleine Schüsseln, die ich auf den Tisch stellte. Mein Vater war schon wieder völlig ausgehungert. Er schob sich den Mund voll und kaute mit geschlossenen Augen genüsslich vor sich hin. Wahrscheinlich hatte er seit Jahrzehnten keine Chips mehr gegessen, meine Mutter achtete streng auf seine Ernährung. Ricarda setzte sich neben ihn und guckte ihm über die Schulter. Das aufgeschlagene Familienalbum lag noch immer auf seinem Schoß.
    »Guck mal, Rolfi, das bist du als Baby! Richtig niedlich.«
    »Ihr wart alle niedlich! Gott, wart ihr niedlich«, sagte Susanne. »Und Matz und Rolfi sahen aus wie ihr Vater.«
    Das fand ich eigentlich nicht. Und das ist, unter uns gesagt, ein ziemliches Glück. Gerald wiegt ungefähr hundert Kilo, trägt eine Brille, hat nur noch einen schütteren Haarkranz, und sein Gesicht ist immer leicht gerötet. Eigentlich passen wir ziemlich gut zusammen. Ich bin auch nicht gerade das, was man in landläufigem Sinn eine Schönheit nennt. Auch ich leide unter Altersweitsicht und kann, wenn ich meine Brille vergessen habe, nicht mal mehr allein einkaufen gehen. Dabei bin ich erst siebenundvierzig, aber das ein oder andere Zipperlein macht sich doch langsam bemerkbar. Ich kann zum Beispiel keine hohen Schuhe mehr tragen; wenn ich den ganzen Tag auf den Beinen war, sehen die am Abend aus wie bei einer Elefantenkuh. Mein Arzt empfiehlt mir Stützstrümpfe, aber ohne Diagnose auf Thrombose zahlt die Krankenkasse nicht.
    Auch wenn das jetzt vielleicht deprimierend klingt, sehe ich die Sache eigentlich sehr positiv. Denn wenn man, so wie ich, nie eine Schönheit war, wird man im Alter eher ansehnlicher, weil die Falten dem Gesicht ein bisschen Charakter geben. Und weil ich keine kurzen Röcke mehr trage, fällt niemandem auf, wie meine Beine darunter aussehen. Außerdem trägt Gerald nachts keine Brille, und ohne Brille sieht er nichts. Wobei ich sagen muss, dass er sich auch mit Brille nichts aus Sex macht.
    Neulich habe ich gehört, dass es jetzt eine Viagrapille für Frauen geben soll. Aber Gerald meint, dass das bei uns nichts nützt, wenn er kein Viagra für Männer nehmen würde. Und da er die nicht nehmen dürfe, weil sich das mit seinem Mittel gegen Bluthochdruck nicht verträgt, würde das wohl nichts.
    Es sind eher diese Momente der Phantasielosigkeit, die mich ziemlich traurig machen. Wo ich mir manchmal schon wünschen würde, einen wilden Stier zum Mann zu haben. Einen rassigen Spanier oder den Amerikaner aus meinem Traum, der mir nur die Hand auf die Schulter legen muss, damit ich zerfließe.
    Aber man kann nicht alles haben, und Gerald ist, wie gesagt, wenigstens einigermaßen verlässlich. (Das heißt, solange er nicht im Haushalt helfen muss.)
    Ich setzte mich zu den anderen auf die Couch und hatte auf einmal ganz furchtbare Sehnsucht nach ihm.
    Susanne beobachtete mich besorgt. »Hoffentlich tut er sich nichts an.«
    Rolfi schaute auf. »Wer?«
    »Euer Vater. Er war schon immer so empfindsam.« Sie sah mich an. »Und ich finde, dass du dich ihm gegenüber nicht gerade besonders

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