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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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in Ruhe.« Das kam nicht von mir, sondern von meinem Mann. Ich lächelte.
    Aus dem CD -Player quäkte noch immer Helene Fuscher: »Mir schenkst du Rosen, aber ihr schenkst du deine Zärtlichkeit –«
    Rose hatte sich vor Schreck hingesetzt. Jetzt bekam sie wieder nasse Augen.
    »Gerald«, sagte ich. »Wie redest du denn?«
    »Ich habe keine Lust mehr. Ich will jetzt endlich auch mal Weihnachten feiern!« Er schrie fast. Zum Glück waren die Kinder nicht da.
    »Ich denke, du magst Weihnachten nicht?«, sagte ich.
    »Nein, ich mag es auch nicht, aber jetzt bin ich nun mal mittendrin und komm nicht mehr raus, und dann kann ich gleich richtig mitfeiern!«
    Er sah Rose an, die einen neuen Anlauf nahm und den Mund öffnete.
    »Und nein! Ich fahre euch nicht zur Kirche!«, schrie er. »Was guckst du mich so an?«, schob er giftig nach. Damit meinte er mich.
    »Ich? Ich gucke gar nicht.«
    »Natürlich guckst du. Du starrst!«
    »Ich werde ja wohl meinen Mann angucken dürfen«, erwiderte ich und nippte an meinem Glas.
    »Ich denke, ich bin nicht mehr dein Mann! Du guckst mich schon den ganzen Abend an, als wäre ich ein Stück Scheiße!« Schon wieder dieses Wort, dachte ich.
    »Gerald!«, rief Susanne. »Was ist denn mit dir los?«
    »Ich will nicht mehr! Ich habe die Schnauze gestrichen voll! Diese ewige Meckerei geht mir so was von auf den Sack!«
    »Ich meckere nicht. Wenn hier einer meckert, bist du’s, Gerald.«
    »Da! Schon wieder. Lass mich endlich in Ruhe!« Er rannte nach draußen, nicht ohne dem Tornadobaum noch einen ordentlichen Tritt zu verpassen. Einige Türkenkugeln zerplatzten auf dem Boden, dann kippte der Baum einfach um.
    Rose und Hans-Dieter starrten Gerald mit schreckgeweiteten Augen hinterher. Die beiden waren kalkweiß.
    »Wie alt sind Sie jetzt eigentlich, gnädige Frau?« Mein Vater ließ sich von den äußeren Geschehnissen nicht beeindrucken. Er schien wirklich Gefallen an seiner Schwägerin gefunden zu haben. Vielleicht erinnerte er sich aber auch an ihre alten Zeiten.
    »Edgar, lass mal gut sein. Mein Sohn hat gerade einen Nervenzusammenbruch.« Susanne war erstarrt, nur ihre Lippen zitterten leicht.
    »Sie haben Ähnlichkeit mit jemandem, den ich sehr gut kenne.« Er ließ nicht locker.
    »Neunundsiebzig«, sagte Susanne auf seinen beharrlichen Blick hin.
    »Was meinen Sie mit neunundsiebzig? Aah«, er lächelte schelmisch. »Ich habe es erraten. Ihre Glückszahl?«
    »Nein, mein Alter. Und jetzt hör auf, mich immer zu siezen, Edgar. Du machst mich vollkommen verrückt.«
    »Oh. Also neunundsiebzig Jahre alt«, sagte mein Vater. Er sah aus, als hätte er sich eine andere Zahl erhofft. »In dem Alter waren meine Eltern schon lange tot.«
    »Edgar, lass mich jetzt einfach mal. Jeder Spaß hat ein Ende.«
    »Waren wir schon beim Du?«
    Susanne sah mich an. »Hat er das öfter?«
    »Wer jetzt?«
    »Na, Gerald natürlich.«
    »Ehrlich gesagt, habe ich Gerald noch nie so erlebt.« Ich stand auf, um den Weihnachtsbaum wieder aufzurichten. Überall lagen Tannennadeln und Scherben auf dem Teppich verstreut. »So ein Chaos.« Ich machte alles ganz mechanisch.
    Ich glaube, ich hatte einen kleinen Schock von Geralds Auftritt davongetragen.
    »Am Ende führen alle Wege nach Rom«, sagte Susanne.
    »Was hat denn Gerald mit Rom zu tun?«
    »Gerald speziell jetzt nichts, aber man muss im Leben auch mal abstrahieren können.«
    »Versteh ich nicht«, sagte ich.
    »Man muss den Krieg miterlebt haben, um das zu verstehen.«
    »Ach so«, sagte ich.
    »Wir gehen jetzt.« Rose und Hans-Dieter standen auf und gingen zur Tür. »Das hat uns jetzt zu sehr aufgewühlt. Wir brauchen frische Luft, um das alles zu verarbeiten.« Hans-Dieters Stimme zitterte.
    »Hans-Dieter, jetzt reg dich ab«, sagte ich. »Geralds Anfall hatte nichts mit euch zu tun, sondern mit mir.«
    »Das ist doch egal. Schön ist so was nicht. Schon gar nicht am Heiligen Abend.«
    »Wir machen eine kleine Runde ums Karree«, sagte Rose. »Gundel, kann ich deine Mütze ausleihen? Mir ist das sonst zu kalt. Und Hadi bräuchte auch eine und einen Schal, sonst bekommt er’s wieder mit den Nebenhöhlen.«
    »Habt ihr nichts Eigenes dabei?«
    »Doch, schon«, sagte Rose, »aber ich möchte jetzt nicht noch nach oben an den Koffer. Hauptsache, Hans- Dieter fängt sich nach der ganzen Aufregung hier nicht noch was ein.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich verleihe nichts. Nie. Und ich hab jetzt wirklich anderes zu tun, als euch einzukleiden.«
    Ich lief in

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