Tief im Hochwald - Kriminalroman
sei erschlagen worden, Herr Lehnen dagegen hatte erfahren, man habe sie erstochen. Vanessa speiste die beiden mit der abgedroschenen Phrase ab, aus ermittlungstechnischen Gründen könne sie nichts dazu sagen.
Als sie zur Polizeiwache ging, begegnete sie dem Bürgermeister, der mit dem alten und dem neuen Pastor zusammenstand und die aktuellen Ereignisse zu diskutieren schien.
»Die arme Frau Ostermann, Gott hab sie selig«, sagte Josef Feldmann. »Stimmt es, dass sie zunächst mit einem Strick erdrosselt und mit diesem danach an die Kniebank gefesselt worden ist? Sie mag manchem nicht so aufrechten Christen etwas engstirnig vorgekommen sein, aber sie war eine gute Seele und hat ein solches Ende nicht verdient.«
Der Bürgermeister hatte wiederum eine andere Version ihrer Tötung gehört und fragte nun, wie bloß die alte Frau über das Gitter geworfen worden sein könnte, ohne dass diese sich dabei das Genick gebrochen hatte. Wenigstens Pastor Lämmle hielt sich aus allen Spekulationen heraus.
Vanessa flüchtete in die Wache, von wo aus Landscheid und sie kurz darauf zu Frau Ostermanns Tochter fuhren. Selbst die hielt sich mit Mitgefühl eher zurück und wurde im Kondolenzgespräch von ihrem Sohn darauf angesprochen, ob er endlich die Wohnung seiner Oma beziehen könne.
Vanessa und Landscheid waren sich einig: Niemand schien so recht um die alte Frau zu trauern, und somit war der Kreis der möglichen Verdächtigen groß. In erster Linie waren verständlicherweise die Teilnehmer des Klassentreffens verdächtig, weil nur sie im Vorfeld hatten wissen können, dass Frau Ostermann kommen würde. Sie müssten überprüfen, wem sie möglicherweise im Vorfeld davon erzählt hatten. Schließlich ließ das ausgetauschte Schloss eine spontane Tat mehr als unwahrscheinlich erscheinen.
»Wir müssen dafür sorgen, dass die Klassenkameraden sich nicht wieder in alle Winde zerstreuen. Keiner von ihnen darf Hellersberg verlassen, bevor wir mit ihm gesprochen haben. Mein Kollege Hermesdorf aus Trier wird sicher auch gleich eintreffen, der kann uns bei den Vernehmungen helfen. Wissen Sie, ob die Klassenkameraden heute noch einmal verabredet sind?«, erkundigte sich Vanessa bei ihrem Kollegen.
»Sie gehen doch bei Nerts ein und aus, warum haben Sie Johannes nicht gefragt?«, kam die schnippische Antwort des Polizeihauptmeisters.
»Das werde ich bestimmt nicht mit Ihnen ausdiskutieren, aber als Sie mich abgeholt haben, wusste ich noch nicht, wer das Opfer ist. Wieso hätte ich mich daher nach den Plänen von Johannes Nert erkundigen sollen?«, verteidigte sich Vanessa. »Ich weiß aber, dass er gleich auf die Kirmes gehen wollte, wir sollten demnach zügig zum Festplatz gehen. Außerdem wundert es mich sehr, wie viele unterschiedliche Gerüchte in Hellersberg bereits im Umlauf sind. Ich weiß bislang nicht, wie, aber ich denke, wir sollten da gegensteuern.«
Landscheid schien bereits eine Idee zu haben, denn er sagte: »Ja, stimmt schon, Gerüchte sind am schlimmsten, da weiß man nie, was dabei herauskommt. Wir sollten offen damit umgehen.« Damit schloss er die Dienststelle ab, und sie machten sich gemeinsam auf den Weg zum Festplatz. Unterwegs kamen sie an einem alten Lieferwagen vorbei, auf dessen Fahrersitz Rolf Trost saß und wild auf einer Laptop-Tastatur herumhackte. Landscheid grüßte, aber der Künstler sah nicht einmal auf und tippte weiter.
»Warum macht er das nicht zu Hause, sondern hier auf dem Dorfplatz?«, wunderte sich Vanessa.
»Das habe ich bislang auch noch nicht erlebt. Er hat mir einmal erzählt, dass er bei sich zu Hause nicht immer Netz hat. Es klang ein wenig nach einer Verschwörungstheorie«, antwortete Landscheid. »Alle anderen im Dorf hätten Netz, nur er nicht, sagte er. Manchmal sitzt er im Gasthof, da gibt es ein offenes Netz für die Gäste, das wohl ziemlich weit reicht. Vermutlich reicht das bis hier, und er ist zu faul, um reinzugehen. Oder zu geizig, weil er ja nicht einfach nur in die Kneipe gehen kann, um ins Internet zu gehen, da müsste er wenigstens einen Viez bestellen.«
Sie gingen weiter, und Vanessa entdeckte auf dem Kirchplatz direkt Hajo und Johannes, die im Gespräch mit ein paar der Grundschulveteranen in der Nähe der Bühne saßen. Als Johannes Vanessa und Landscheid sah, winkte er sie heran und machte Vanessa neben sich Platz, damit sie sich zu ihm setzen konnte. Vanessa war froh, endlich sitzen zu können, denn die hohen Pumps hatte sie am Morgen nicht mit Blick auf
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