Tief im Hochwald - Kriminalroman
sein Vater ist tot, und die Mutter hat die Firma in andere Hände gegeben. Man sagt, er bekomme jeden Monat Geld von ihr unter der Bedingung, dass er niemals öffentlich seine Verbindung zur Familie zur Sprache bringt. Die Mutter lebt inzwischen im Altersheim. Ich glaube nicht, dass er die Firma oder das Vermögen erbt, wenn sie stirbt; vermutlich bekommt er lediglich seinen Pflichtanteil.«
»Was hat ihn bloß so verbittert gemacht?«, hakte Vanessa nach.
»›Verbittert‹ würde ich es nicht nennen«, sagte Karl-Josef Lehnen, der Trosts Auftritt mitbekommen hatte und von der Theke nun zu ihnen herübergekommen war. »Er ist bitter, aber eher im Sinne von bitterböse. Mit jedem legt er sich an, er schnüffelt überall herum, lässt sich aber nie selbst in die Karten gucken. Sein liebster Ausspruch ist ›man müsste mal‹. Er ist nichts anderes als ein Schwätzer.«
»Aber niemand wird von allein so«, beharrte Vanessa.
»Als Junge war er nur verträumt. Ich denke, er war nicht einmal in der Pubertät, als sein Vater starb, ein harter, unnachgiebiger Mann. Vielleicht war das der Auslöser«, überlegte Hajo. »Karl-Josef, spielst du mit? Heiner ist auf Familienbesuch.«
Lehnen setzte sich zu ihnen an den Tisch und meinte: »Wer weiß, wie lange ich noch in der ›Post‹ mit euch Skat spielen kann. In absehbarer Zeit werde ich den ›Hellersberger Hof‹ renovieren und wiedereröffnen, allerdings möchte ich dabei der ›Post‹ keine Konkurrenz machen. Stattdessen planen Ruth und ich eine gemeinsame Ausrichtung: Erlebnisgastronomie im ›Hellersberger Hof‹, und die normale Dorfkneipe bleibt in der ›Post‹.«
»Hast du den Eindruck, in der ›Post‹ würde man nichts erleben?«, fragte Hajo.
»Hajo, die ›Post‹ ist eine wunderbare Kneipe, aber hierher kommen viel zu wenige unserer zahlreichen Touristen. Heute wollen die Leute nicht mehr nur ein Bier trinken gehen, die möchten ein Event. Und so was wollen wir ihnen bieten. Mit Autorenlesungen, Konzerten, lauter Zeug, das bei modernen Menschen gefragt ist«, erklärte Lehnen.
»Ich bin kein moderner Mensch, lass uns lieber Skat spielen, bevor die Touristenmassen in Hellersberg einfallen«, sagte Hajo augenzwinkernd und gab die ersten Karten. Als Vanessa aufgegessen hatte, erhob sie sich und wünschte allen eine Gute Nacht.
SIEBEN
Als Vanessa am Donnerstagmorgen gerade die Polizeistation betrat, rief Dr. Breuer an. Noch im Mantel nahm sie seinen Anruf entgegen. Der Mediziner hielt an seiner ursprünglichen Diagnose fest.
»Es gibt ganz sicher keine Anzeichen von Gewalteinwirkung, nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Schuster die Pilze unfreiwillig zu sich genommen haben könnte. Keine Spuren von Fesselungen, keine Verletzungen im Mund-Rachen-Bereich. Aber Todesursache war ganz klar eine Vergiftung durch Grüne Knollenblätterpilze. Die Leiche zeigt alle Zeichen des typischen Vergiftungsverlaufes. Bezüglich des Zeitpunktes, zu dem die Pilze gegessen wurden, bin ich mir sicher, dass es am Samstagabend gewesen sein muss. Ich denke, er ist ganz einfach ein Pilzopfer, mehr nicht.«
Ihr Computer meldete ihr eine neue E-Mail. Der Freak schrieb, er habe über die Provider die IP -Adressen überprüft, und sie würden jeweils zu den Namen passen.
Für acht Uhr dreißig hatte Vanessa eine Lagebesprechung anberaumt. Als alle eingetroffen waren, schilderte sie die neuesten Erkenntnisse und teilte die Gruppen für die heutige Arbeit ein. Gunter sollte das Umfeld von Franz Schuster näher beleuchten, die Kriminaltechniker würden heute die Spuren auswerten, die sie gestern im Wald sichergestellt hatten. Der Computerspezialist sollte sich intensiv mit der Internetrecherche rund um die Caches befassen, und Vanessa würde mit Landscheid die Leute aufsuchen, die laut der Reviewerin die Caches gelegt hatten.
Als Erstes führte sie ihr Weg zu Jeremy Wahlen, der aber nicht zu Hause war. »Heute erreichen Sie ihn erst nach sieben, aber morgen ist er in der Berufsschule, da ist er schon nachmittags zu Hause«, erklärte ihnen seine Mutter.
»Also fahren wir erst einmal zu Ursula Greimerath«, sagte Vanessa zu Landscheid, als sie wieder im Wagen saßen.
Das silberne Cabrio von Ursula Greimerath stand in der Einfahrt, aber auf Vanessas Klingeln reagierte niemand.
»Ursula?«, rief Landscheid und ging ungeniert um das Haus herum in den Garten. Dort saß die gut sechzigjährige Frau auf der Terrasse und hatte gerade eine grüne Maske im Gesicht und
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