Tief im Hochwald - Kriminalroman

schüttelte sich vor Verzweiflung und Verärgerung über sich selbst.
    »Was auch immer zwischen euch war, ihr habt anscheinend heute darüber gesprochen. Dann kann das Band zwischen euch gar nicht so schlecht sein, wie du es gerade andeutest. Möglicherweise hattet ihr in der Vergangenheit keinen Zugang zueinander, vielleicht hat Johannes dich auch nicht in sein Leben miteinbeziehen wollen. Aber jetzt habt ihr miteinander geredet. Das ist doch das Wichtigste.«
    »Ich bring das Schwein um!«, stieß Hajo erregt hervor.
    Vanessa wurde wachsam. »Willst du mir nicht doch erzählen, worum es geht?«, forschte Vanessa vorsichtig nach.
    »Da spielt er jahrelang scheinheilig mit mir Skat. Jawohl, scheinheilig, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich dreh ihm den Hals um!«
    »Dem Pastor Feldmann?«, vergewisserte sich Vanessa.
    »Pastor!«, spuckte Hajo förmlich aus. »Ein elender Kinderschänder ist er! Vergreift sich an kleinen Jungs. Und das wahrscheinlich über Jahre. Warum habe ich das nicht gewusst?« Er schlug mit dem Kopf hinterrücks an die Wand, und Vanessa legte eine Hand hinter seinen Kopf und zog ihn sanft an ihre Schulter.
    »Johannes?«, flüsterte sie beklommen.
    »Ja! Nein! Ach, ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll.« Hajo sprang auf und ging zum Kamin, um die Flammen wieder kleiner zu stellen.
    »Hat deine Frau davon gewusst?«, versuchte Vanessa das Gespräch in Gang zu bringen.
    »Johannes ist mit neun Jahren zur Erstkommunion gegangen, wie das so üblich ist. Dritte Klasse eben. Den Kommunionsunterricht machen ja im Wesentlichen engagierte Mütter, also hatten die Kinder da gar nicht so viel Berührung mit dem Pastor.«
    Vanessa hielt den Atem an, als ihr die Doppeldeutigkeit von Hajos Aussage bewusst wurde.
    »Ja, das kann man genau so verstehen, wie ich es sage!«, bestätigte Hajo ihre Vermutung. »Anschließend wurden Johannes und viele andere Kinder Messdiener. Genau genommen nur Jungen, Mädchen waren damals noch nicht zugelassen. Die Messdiener sind regelmäßig zusammen ins Zeltlager gefahren oder in ein Haus der Jugend in der Nähe. Sie waren auch an den Wochenenden oder in den Ferien oft mit dem Pastor rund um Hellersberg unterwegs. Sie haben viel Zeit mit dem Pastor verbracht, wie es aussieht, Tag und Nacht. Ich weiß nichts Genaues, weil Johannes wenigstens das Glück hatte, nicht selbst betroffen zu sein. Also nicht körperlich. Aber er sei Zeuge gewesen, wie der Pastor einen anderen Jungen unsittlich berührt habe, aber ihn selbst hat der Pastor nicht angerührt, sagt er.«
    »Diese Erfahrungen haben sicherlich dazu beigetragen, dass Johannes eine gewisse Hemmung hat, anderen Menschen zu vertrauen und Beziehungen aufzubauen. Verstehst du, ich meine echte Beziehungen, emotionale Bindungen«, überlegte Vanessa laut. »Du hast erzählt, Lenny sei sehr oberflächlich und die Kontakte, die Johannes üblicherweise pflegt, ebenfalls. Ihr beide vertraut euch zwar einerseits, teilt aber nicht viel miteinander. Johannes scheint mitunter verschlossen zu sein, unnahbar. Vielleicht aus der Angst heraus, verletzt zu werden. Vielleicht aber auch, weil er niemanden an dem teilhaben lassen möchte, was er damals erlebt hat. Da könnte die Angst mitspielen, einem Menschen, dem man vertraut, nicht alles erzählen zu können, was zur Bildung der Persönlichkeit beigetragen hat. Selbst wenn er nicht körperlich missbraucht wurde, so hat er doch genug mitgekriegt und gewusst, dass man ihn als Opfer bezeichnen kann.«
    »Richtig, möglicherweise darum fühlt er sich in dieser oberflächlichen Welt wohler. Er hatte auch nie eine richtige Beziehung zu Jonas, vielleicht weil er nicht einschätzen konnte, wie viel Nähe zu einem Jungen richtig ist. Ich glaube fast, er war erleichtert, Jonas ausgerechnet in der Pubertät ins Ausland schicken zu können. Somit musste er Jonas keine Fragen beantworten, die ihn vielleicht an die schwerste Phase seines Lebens erinnert hätten«, bestätigte Hajo.
    »Du hattest am Telefon erwähnt, Johannes wollte noch mit ein paar Leuten sprechen. Worum geht es da?«, versuchte Vanessa zu verstehen.
    »Johannes war sicher nicht der Einzige, der solche Erfahrungen gemacht hat. Er hat sich überlegt, dass der Pastor eine ganze Generation in ihrer Beziehungsfähigkeit beeinflusst haben muss. Und bei irgendeinem bricht sich diese Wut und Verletzung offenbar gerade Bahn!«, schlussfolgerte Hajo.
    »Schon möglich, dass eure Theorie stimmt, aber diese Ermittlungsarbeit sollte ich