Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
einen Kuss aufs Ohrläppchen. Ein Kribbeln lief Neles Wirbelsäule hinab, zusammen mit einer erregenden Gänsehaut.
»Ich beeile mich«, sagte sie leise und löste sich von Anou, obwohl sie lieber für immer stehen geblieben wäre. Sie spürte noch den warmen Atem ihrer Freundin am Ohr, als sie unter die Dusche stieg. Mit heißem Wasser und viel Duschgel versuchte sie, den langen, harten Tag abzuwaschen.
Dabei wünschte sie sich Anou mit unter die Dusche, doch sie kam nicht.
Das kleine Bad war in Dampfschwaden gehüllt, als Nele aus der Dusche trat. Sie rubbelte sich das Wasser aus ihrem halblangen Haar, klebte sorgfältig ein neues Pflaster über den schon verheilenden Schnitt an ihrem Unterarm und hatte plötzlich keine Zeit mehr zum Föhnen. Ein wenig Parfum trug sie noch auf, dann schlüpfte sie in den flauschigen, weißen Bademantel, knotete ihn an der Taille zusammen und tapste ins Wohnzimmer.
Anou hatte alle Lampen gelöscht. Das Zimmer wurde allein von Kerzen in warmes Licht getaucht, dessen Schatten an den Wänden tanzten wie heimliche Beobachter. Auf dem Tisch dampfte ein kross gebackenes Baguette, in zwei Gläsern glitzerte Rotwein, dazu gab es Salat und Oliven in zwei großen Schalen. Intensiv erfüllte der Duft, den Nele vorhin schon an der Tür gerochen hatte, den Raum. Die Illusion einer Nacht am Pool eines Landhauses irgendwo in der Einsamkeit eines Küstenortes am Mittelmeer. Erinnerungen an den letzten, viel zu lang zurückliegenden Urlaub brandeten heran. Anouschkas verführerische Komposition zauberte Entspannung in Neles Körper, wobei die unterschwellige Erregung jedoch erhalten blieb.
Sie kam ihr aus der Küche entgegen. Im Licht der Kerzen sah sie atemberaubend aus. Sie setzten sich nebeneinander auf die Couch, stießen mit dem Rotwein an, tranken und aßen. Obwohl es schon so spät war, entwickelte Nele beim Essen richtigen Appetit.
»Das ist super«, sagte sie mit vollem Mund. »Ich wusste gar nicht, dass du so gut in der Küche bist.«
Anou lächelte. »Wir wissen einiges noch nicht voneinander.«
Nele hielt kurz inne, sah sie an, beugte sich rüber und küsste Anou leidenschaftlich. »Das kann sich ja ändern«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Gestern Nacht war sehr schön.«
Anou nickte mit geschlossenen Augen, tauchte ihr Gesicht in Neles duftendes, feuchtes Haar. »Ja, das fand ich auch.«
Nele widerstand dem Drang, einfach weiterzumachen, ihre Hände auf Wanderschaft zu schicken, und widmete sich wieder dem Salat. Während sie aßen und tranken, berichtete sie Anou vom Tag und den Ermittlungen. Anou selbst hatte nicht viel zu erzählen. Sie hatte im Dezernat Akten aufgearbeitet. Langweilige Routine. Während Anou davon erzählte, hörte Nele zwischen den Worten den Wunsch ihrer Freundin und gleichzeitig auch Untergebenen heraus, an den Ermittlungen in Mariensee beteiligt zu werden.
»Und der Unfall?«, fragte Anou schließlich. »Musst du noch daran denken?«
Nele schlug die Beine unter. »Dafür war heute einfach zu viel los.« Sie ließ sich mit vollem Bauch in die Kissen sinken. Der Bademantel klaffte auseinander und enthüllte ihre nackten Beine. Anou legte sanft ihre Hand auf den blauen Fleck an ihrem Schenkel.
»Ist das nicht abartig?«, fragte Nele. »Da wird man mit dem Tod konfrontiert und macht am nächsten Tag einfach weiter, als wäre nichts gewesen.«
Die warme Hand wanderte zur Innenseite ihres Schenkels.
»Wenn wir diese Fähigkeit nicht hätten, würden wir am Leben zerbrechen«, sagte Anou.
»Ja, wahrscheinlich.« Nele legte den Kopf zurück, schloss die Augen und gab ein leises Seufzen von sich, als Anous Finger sich in Richtung ihres Bauches schoben und sie dort zu streicheln begannen.
»Das ist schön«, hauchte sie.
Anou kam näher, küsste sie zart auf die gespannte Haut an ihrem Hals, ließ ihre Lippen Wärme hauchend hinaufwandern. »Nimmst du mich morgen mit raus?«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
Nele zuckte leicht zusammen, als ein Finger sie an ihrer empfindlichsten Stelle berührte. Sofort war sie von Verlangen erfüllt und packte Anous Handgelenk.
»Hörst du damit auf, wenn ich Nein sage?«, fragte sie und sah fordernd in diese dunklen, im Licht der Kerzen glühenden Augen.
Anou schüttelte den Kopf.
Dann fanden sich ihren Lippen für einen leidenschaftlichen Kuss, und für den Rest der Nacht war das Böse aus ihrem Leben verbannt.
3.
Tag, morgens
Der Puff war das ehemalige Bahnhofsgebäude eines kleinen Ortes namens Hassfeld. Es war
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