Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
geschickt.«
Ohne noch ein Wort zu verlieren, gingen die beiden ums Haus, durchquerten den verkommenen Garten, stiegen über einen altersschwachen Jägerzaun und kämpften sich durch Brombeerbüsche und Maulwurfskrater, wobei Basler mit seinem kaputten Knie ein Stück zurückfiel.
Hendrik erreichte als Erster das flache Gleisbett, das von Unkraut überwuchert war, in dem aber noch verrostete Schienenstränge lagen. Auf der anderen Seite begann nach wenigen Metern Brachland der Wald. Hendrik blieb auf dem Schotterbett stehen und rief den Beamten an, der sich, den Blick zu Boden geheftet, bereits entfernte. Offenbar hatte er den Auflauf auf der anderen Seite des Puffs nicht bemerkt.
Der Mann drehte sich um, runzelte die Stirn und kam zurück.
Bevor er dazu kam, blöde Fragen zu stellen, fuhr Hendrik ihn an.
»Was machen Sie hier, und wer hat Ihnen den Auftrag erteilt?«
Der junge Beamte blieb stehen und versteifte sich. Hendriks Ton schien ihm nicht zu gefallen.
»Und wer sind Sie?«, schoss er zurück.
Hendrik zeigte seinen Ausweis. »Kriminalrat Dag Hendrik. Soll ich die Frage noch einmal wiederholen?«
Jetzt ließ sich sein Gegenüber doch einschüchtern. In einer Haltung, die dem Strammstehen in der Kaserne gleichkam, erklärte er Hendrik, dass er einer Hundertschaft angehöre, die seit dem frühen Morgen nach einem vermissten Mädchen suche. Geleitet werde ihr Einsatz von Hauptkommissarin Karminter.
Basler hatte inzwischen schwer atmend aufgeholt und die Erklärung des Mannes mitgehört.
»Potzblitz!«, sagte er. »Da soll mich doch der Teufel holen. Was ist denn hier los?«
Hendrik fragte den Polizisten nach dem Einsatzzentrum, bedankte sich bei ihm und entließ ihn in seine Pflicht. Zusammen mit Basler verließ er das Gleisbett. Sie machten
sich auf den Rückweg durch den Gartendschungel. Hendrik stellte mit Bedauern fest, wie schwer es seinem Kollegen fiel, über den niedrigen Zaun zu steigen.
»Warum haben wir davon nichts mitbekommen?«, fragte Basler, als sie die Rückseite des Gebäudes erreichten.
Hendrik zuckte mit den Achseln. »Du weißt doch, wie das in der Dienststelle zugeht. Andere Abteilung, kein Informationsfluss. Immer dasselbe.«
»Kennst du die Karminter?«
»Ja. Ist mir schon ein paar Mal über den Weg gelaufen. Nett anzusehen, ziemlich gut in ihrem Job und sehr jung für eine Hauptkommissarin in der Position einer Abteilungsleiterin. Ehrgeizig und klug. Ich glaube, ich sollte mich mit ihr unterhalten.«
»Und was mache ich?«
»Fahr zurück in die Stadt, mach den beschissenen Mirkovich ausfindig, und nimm ihn dir vor. Oder nein, lass ihn vorläufig festnehmen und schmoren, bis ich zurück bin.«
Basler schob die Unterlippe vor. »Was du natürlich auf deine Kappe nimmst.«
Hendrik grinste. »Natürlich.«
Ein Beamter der Spurensicherung, gekleidet in den obligatorischen weißen Plastikanzug, kam ihnen aus dem alten Bahnhofsgebäude entgegen.
»Chef, wir haben etwas gefunden«, rief er.
An der Tür trafen sie sich.
»Und was?«
»In einem Fach hinter der Bar lag eine Damenhandtasche. Kein Ausweis, aber der sonst übliche Inhalt.«
»Na und? Die wird wohl dem Opfer gehören.«
»Nein, deren Tasche lag in ihrem Blut.«
Hendrik stutzte.
»Es gibt also zwei Taschen, aber nur ein Mädchen.«
Der Spurentechniker wusste nicht, ob er darauf etwas antworten sollte, deshalb schwieg er und zuckte nur mit den Schultern.
»Gut, danke«, entließ Hendrik ihn, nahm Basler am Oberarm und führte ihn ein Stück weit weg.
»Wir ändern den Plan. Schnapp dir Mirkovich und verhör ihn sofort. Wir müssen wissen, wie viele Mädchen sich in der letzten Nacht hier aufgehalten haben. Ich kümmere mich um die Karminter.«
»Na, schau einer an, die kleine Schwuchtel sitzt mal wieder in der Badewanne? Hast wohl versucht dir einen runterzuholen, oder was. Und, klappt’s nicht so richtig?«
Hohngelächter, lang und hässlich.
Dann nahm der Vater den Becher, in dem die drei Zahnbürsten der Familie steckten, füllte ihn mit eiskaltem Wasser aus dem Hahn über dem Waschbecken und goss es ihm über den Rücken. Die Kälte war wie Schmerz. Er schrie auf, doch sein Schrei glich mehr einem Juchzen.
»Tuntengeschrei … gleich noch mal!«
Wieder füllte er den Becher, wieder, wieder und wieder. Doch mit jedem kalten Guss verringerte sich der Effekt, weil seine vorher durch das warme Badewasser aufgeheizte Haut sich an die Kälte gewöhnte.
Schließlich warf der Vater den leeren Becher
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