Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
Jahrzehnte her, dass Züge in solchen Nestern gehalten hatten, dementsprechend alt und heruntergekommen sah das Gebäude aus. Die einzigen Investitionen, welche die Betreiber dem langgestreckten Haus von außen hatten angedeihen lassen, waren ein weißer Anstrich und rote Laternen. Außerdem waren die Fenster im Erdgeschoss von innen mit roten Folien beklebt, aus denen Herzen herausgeschnitten worden waren.
Kriminalrat Dag Hendrik stand vor dem schäbigen Gebäude und betrachtete es. In den letzten Jahren waren diese kleinen Bordelle auf dem Lande aus dem Boden geschossen wie die sprichwörtlichen Pilze. Läden wie dieser, in dem in der Regel nicht mehr als zwei oder drei Frauen arbeiteten. Stand mehr Kundschaft vor der Tür, sorgte ein Telefonanruf dafür, dass zusätzliche Mädchen aus anderen Clubs des Betreibers herangekarrt wurden. Ein effektives und kostengünstiges System. Außerdem fiel es den meisten Männern leichter, weit außerhalb der Stadt in einem Ort in den Puff zu gehen, in dem sie niemand kannte, und wo sie wegen der Alleinlage auch niemand sah.
Das Polizeiaufgebot wirkte übertrieben hier draußen. Mehrere Streifenwagen, ein schwarzes Leichenmobil, die beiden weißen VW-Busse der Techniker, drei zivile BMW aus seiner Dienststelle – was eben so aufgefahren wurde, wenn es um Mord ging. Die Leute von der Spurensicherung
waren seit zwei Stunden im Einsatz, ebenso wie seine eigenen. Hendrik hatte seinen Ohren nicht getraut, als Basler ihm heute früh mitgeteilt hatte, das zwei Leichen aufgefunden worden waren in einem Club, der Mirkovich gehörte. Er war seit Monaten hinter Krasic und Mirkovich her, ohne den beiden etwas nachweisen zu können, und nun schien ihnen tatsächlich Kommissar Zufall zu helfen. Das war deprimierend, aber irgendwie auch amüsant.
Basler kam auf ihn zu. Hinkend wie immer, seit vor einem halben Jahr sein Knie operiert worden war. Hendrik ging nicht davon aus, dass Basler noch sehr lange diensttauglich sein würde. Schade, er war sein bester Ermittler. Keine Familie, keine Frau, immer zur Stelle, und einen scharfsinnigen Verstand obendrein. Jetzt wirkte er allerdings unausgeschlafen und schlecht gelaunt. Sein Trenchcoat war schmutzig, sein kurzes dunkles Haar stand ab wie bei einer Igelfrisur. Man sah ihm an, dass er nicht lange im Bett gewesen war.
»Hast wenigstens du ausgeschlafen?«, begrüßte Basler seinen Chef.
Hendrik nickte. »Wie schon lange nicht mehr. War nett, dass du mich nicht rausgeholt hast.«
»Musste ja nicht sein. Obwohl es schon interessant ist, oder?«
Hendrik nickte, holte eine Schachtel West aus der Tasche, bot Basler auch eine an und zündete dann beide Zigaretten an.
»Wie sieht es denn aus?«
»Zwei Leichen. Eine Nutte drinnen hinter der Bar. Hals aufgeschnitten, ziemliche Sauerei. Und dann der Kerl hier draußen neben dem Geländewagen. Fred Braumeister.«
Hendrik zog die Augenbrauen hoch. »Es hat den alten Fred erwischt?«
»Ja, und das auf unsanfte Weise. Jemand hat ihm einen Schraubenzieher durch das rechte Auge ins Gehirn gerammt. Zielsicher und eiskalt. Nur kann ich mir auf das alles noch keinen Reim machen.«
»Rivalitäten«, vermutete Hendrik.
Wer Frauen laufen hatte, hatte immer auch Neider und Feinde. Und in dem Gewerbe war man nicht zimperlich. Obwohl sonst eigentlich nur die Frauen darunter zu leiden hatten. Wahrscheinlich war der alte Fred zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufgetaucht.
»Sicher«, stimmte Basler ihm zu. »Aber das hier ist schon eine Ecke heftiger als sonst. Meinst du, unsere Observation hat was damit zu tun?«
Vor drei Wochen hatte Hendrik die Dauerbeobachtung der beiden Kosovo-Albaner angeordnet. Sie standen in dem Verdacht, drei Mädchen ermordet zu haben und au ßerdem an vier nachweisbaren schweren Körperverletzungen beteiligt gewesen zu sein. Sie hatten, nach allem was Hendrik herausbekommen hatte, eine Schleuserbande laufen und verdienten viel Geld mit Mädchen aus den ehemaligen Ostblockstaaten, die hier verheizt wurden und anschließend verschwanden.
Letzte Woche hatten sie sechs Mädchen nach einer Razzia ins Präsidium gebracht und einen Tag lang verhört. Die hatten aus Angst um ihr Leben nichts gesagt, waren anschließend aber trotzdem in Abschiebehaft gekommen, da sie sich illegal in Deutschland aufhielten. So etwas kostete die Leute Geld, und wenn sie meinten, jemand habe sie bei den Bullen angeschwärzt, konnte die Reaktion schon heftig ausfallen.
»Tja, schon möglich. War nur ein
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