Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
Raum.
»Eben«, bestätigte Ulli und beendete damit das unsägliche Thema. »Womit wir uns heute beschäftigen müssen, das hat eine ganz andere Qualität. Ich weiß ja nicht, ob da was dran ist, aber …«, erneut eine Kunstpause, diesmal dem Ereignis entsprechend länger, »… ich habe das Wort Serientäter aufgeschnappt.«
Sofort brandete die Unruhe zu einem Sturm der Entrüstung auf, warf Wellen gegen die Wände des Schankraumes, die sich brachen und mit Getöse über die Köpfe der Einwohner stürzten. Ulli schwieg und sah zu. Dieses Wort war zwischen den Polizisten nicht gefallen, zumindest hatte er es nicht gehört, aber er war schließlich nicht dumm und konnte eins und eins zusammenzählen. Und wenn man die Leute auf die Beine bringen wollte, musste man schon schweres Geschütz auffahren. Das hatte er sich von den Profi-Politikern aus Berlin abgeschaut.
Er drehte sich zur Theke um und trank einen langen Zug von seinem Bier. Seine Frau reichte ihm ein Geschirrtuch, womit er sich den Schweiß von der Stirn tupfte. Die Leute im Saal redeten sich derweil in Rage. Im Moment konnte und wollte er nichts dagegen tun. Sollten sie ruhig ihre eigenen Schlüsse ziehen. Nicht dass es nachher hieß, er habe die Bevölkerung aufgewiegelt.
Irgendwann war es aber doch an der Zeit, wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die allgemeine Diskussion führte nämlich zu nichts. Und Ulli wollte ja noch seinen Plan loswerden.
»Leute … Leute, beruhigt euch doch mal wieder.«
Es dauerte ein paar Minuten, bis es so weit war. Als wieder Ruhe in den Schankraum eingekehrt war, atmete Ulli tief ein und trat erneut vor seine Mitbürger.
»Was haltet ihr von einer Bürgerwehr?«
Schweigen zunächst. Dann erste Zustimmung, allerdings nur zaghaft. Ulli spürte, dass er nachlegen musste.
»Ich hab mir das folgendermaßen vorgestellt. In der Zeit von Sonnenuntergang bis zwei Uhr patrouillieren zwei Männer in ihrem Wagen durchs Dorf, fahren die Strecke nach Friedburg ab und kontrollieren die Zufahrten zu den
Waldwegen. Niemand muss das Auto verlassen. Wenn jemand etwas Verdächtiges bemerkt, greift er eben zum Handy und ruft die Polizei.«
»Warum können das nicht gleich die Bullen machen?«
»Die Frage ist naiv. Du weißt doch selbst, dass der Staat so etwas nicht bezahlen kann. Nein, wenn wir hier in Mariensee Sicherheit haben wollen, müssen wir das schon selbst in die Hand nehmen. Es geht schließlich um unsere Frauen und Kinder.«
Ulli pausierte und trank von seinem Bier. Aber er beeilte sich. Die Leute sollten nicht wieder ins Tratschen verfallen.
»Diese Patrouille kann auch Fahrdienste übernehmen. Wenn jemand nach Sonnenuntergang von oder nach Friedburg will und sich nicht allein traut, wird er gefahren oder begleitet. Auf diese Weise dürfte nichts mehr passieren.«
»Und wie lange sollen wir das durchhalten?«
»Bis der Schweinehund verhaftet ist.«
»Das kann lange dauern. Wenn überhaupt.«
»Genau. Und damit es schneller geht und hier wieder Frieden und Ruhe einkehrt, sollten wir die Polizei unterstützen. Was haltet ihr davon, Leute?«
Das zustimmende Gemurmel wurde lauter. Ulli ließ seinen Blick durch den Schankraum wandern und stellte mit Genugtuung fest, dass die meisten schon jetzt auf seiner Seite waren. Und die anderen, tja, die galt es noch zu überzeugen. Er war zuversichtlich. Ein paar Biere, ein oder zwei Stunden Zeit, dann stand ihre Bürgerwehr.
Ulli war zufrieden.
Frauke Wendtland war genervt.
Genau genommen hätte sie sich über die Extratour freuen sollen, sonst war ja unter der Woche hier nichts los, aber
diese Ortsfahrten für fünf Euro waren einfach nur nervig – vor allem, wenn sie besoffene alte Säcke transportieren musste. Viele von denen konnten nicht mal mehr geradeaus laufen und mussten bis an die Haustür gestützt werden, wo sie dann von einer mürrischen Frau im Nachthemd entgegengenommen wurden – eine unangenehme, mitunter peinliche Angelegenheit. Trotzdem kam kaum einer auf die Idee, ihr dafür ein ordentliches Trinkgeld zu geben. Ganz im Gegenteil. So besoffen sie auch waren, achteten die alten Säcke doch genau auf ihr Geld. Vorher war es für Bier mühelos aus ihren Taschen geflossen, aber für die Taxifahrerin, die sich Gegrapsche und anzügliche Sprüche gefallen lassen musste, war nicht mal ein Euro extra drin.
Aus der Waldschänke hatte jemand angerufen. Scheinbar gab es da irgendeine Versammlung … merkwürdig, dass Ulli die nicht vorher angekündigt
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