Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
unterwegs war.
Nein. Nur eine Störung.
Sie wollte sich gerade wieder zu den Gleisen umdrehen, als zweierlei geschah. Am Waldrand, hinter ihrem Taxi, bewegte sich etwas im tiefschwarzen Schatten unter den ausladenden Ästen der Fichten. Gleichzeitig begannen die Schienen zu singen, kurz darauf donnerte ein Güterzug vorbei. Der Luftstrom wirbelte Fraukes Haar durcheinander, der Lärm zerstörte die friedliche Stille und machte sie vorübergehend taub. Frauke trat von der Schranke zurück und sah zum Waldrand hinüber.
Sie hatte sich getäuscht, da war nichts. Wahrscheinlich nur ein Ast im Wind.
Der Zug verschwand und nahm seinen Lärm mit. Die Schranke blieb noch geschlossen und verschaffte Frauke somit genug Zeit, ihre Zigarette zu Ende zu rauchen. Während sie das tat, auf halben Weg zwischen der Motorhaube des Taxis und der geschlossenen Bahnschranke, breitete sich plötzlich ein Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern aus.
Sie fuhr herum.
Nichts!
Dabei hatte sie etwas gespürt, hatte geradezu erwartet, dass sie etwas aus dem Dunkel heraus anspringen würde. Frauke war alles andere als ängstlich, in diesen Sekunden aber überzog eine Gänsehaut ihren Rücken, und sie spürte Eiseskälte sich in ihre Nieren bohren.
Was, wenn Jasmin doch nicht abgehauen war?
Sie warf die Kippe auf den Asphalt und lief die letzten paar Schritte zum Taxi, sah dabei über ihre Schulter zurück. Woher kam plötzlich diese Angst? Unzählige Male hatte sie
nachts an diesem Bahnübergang geraucht, hatte Geräusche gehört, Füchse und Rehe nah am Straßenrand gesehen, und trotzdem nicht auf diese Weise reagiert. Sie ließ sich von dem Gequatsche der Leute verrückt machen, das war es!
Frauke ließ sich in den Sitz fallen, zog die Tür zu und drückte den Knopf für die automatische Verriegelung. Das Geräusch, mit dem die Schlösser zuschnappten, war mehr als beruhigend. Schon war der nächste Zug heran. Er fuhr langsam. Frauke sah auf die Uhr. Das war der 22.48. Der hatte im Bahnhof von Friedburg gehalten und musste nun erst wieder Geschwindigkeit aufnehmen. Sie konnte durch die Fenster in die beleuchteten Abteile sehen. Der Zug war gut besetzt. Menschen starrten sie an, schienen auch sie zu sehen. Fremde Gesichter, fremde Schicksale, die nur für den Bruchteil einer Sekunde eine Schnittmenge bildeten mit ihrem eigenen Leben.
Plötzlich fiel ihr auf, dass die Innenraumbeleuchtung des Taxis brannte. Wieso das? Die Türen waren doch geschlossen. Oder war eine der hinteren Türen nicht richtig zu? Der letzte Fahrgast hatte aber doch vorn gesessen. Hinten hatte heute noch …
Frauke konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende bringen. Sie wollte sich eben umdrehen, um nach den hinteren Türen zu sehen, als eine Hand um die Nackenstütze schnellte, ihre Stirn packte und sie mit Gewalt nach hinten riss. Eine zweite Hand presste ihr einen Lappen auf Mund und Nase.
Frauke wollte schreien, atmete dabei den ekelhaften Gestank des Lappens ein und erschlaffte innerhalb weniger Sekunden hinter dem Steuer.
Mit leisem Bimmeln öffneten sich die Schranken.
»Wir müssen vorsichtiger sein.«
Anouschka Rossberg und Nele Karminter lagen eng nebeneinander in dem schmalen Bett, in dem Nele sonst allein schlief. Beide waren nackt, auf ihrer Haut glänzte ein leichter Schweißfilm. Kaum in der Wohnung, waren sie übereinander hergefallen, wild und erotisch waren sie an die Grenzen dessen gegangen, was zwei Frauen miteinander tun konnten. Nele war wie in Trance gewesen, hatte jeden Kuss, jede Berührung, jeden Zungenschlag genossen, und sich dabei gefragt, warum es mit den anderen nicht so gewesen war. Es gab eindeutig etwas Besonderes zwischen Anou und ihr, ohne dass Nele jetzt schon sagen konnte, worin es begründet lag. Überraschenderweise kannte sie selbst weder Scheu noch Scham, wenn sie mit Anou Sex hatte, was wahrscheinlich schon die Antwort auf die Frage war, warum es früher nicht so intensiv gewesen war. Sie war damals eine andere gewesen. Noch nicht bereit für eine gleichgeschlechtliche Beziehung, vielleicht im Kopf noch blockiert von gesellschaftlichen Normen, obwohl sie schon früh während ihrer Schulzeit gemerkt hatte, dass männliche Körper sie nicht reizten.
Im Alltag benahm sich Anou wie jede andere Frau auch, Nele hatte sie sogar mit dem Kollegen Siebert flirten sehen (was einen merkwürdigen Beigeschmack hinterlassen hatte, den Nele nicht richtig einzuordnen vermochte), doch wenn sie zusammen im Bett waren, entwickelte sich
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