Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
dieses Monstrum sie allein gelassen hatte. Sie hatte ihren einsamen Kampf gefochten und verloren, und nun stand ein Wort wie eine Mauer in ihrem Kopf, blockierte die Logik und Vernunft.
Warum?
Warum war ihr zugestoßen, was niemals hätte passieren dürfen? Den jungen Dingern, die sich aufreizend kleideten und schminkten, die schlank, attraktiv und naiv waren, denen passierte so etwas. Aber doch nicht einer 42-Jährigen,
die ein Kind geboren hatte und sich von keinem die Butter vom Brot nehmen ließ.
Warum?
Keine Antwort. Nur immer wieder die gleichen Fragmente der Erinnerung, kleine Teilchen, die in ihrem Kopf herumschwirrten und sich zu vereinigen suchten. Die Bahnschranken im Wald, sie hatte geraucht, der Zug, das Gefühl nicht mehr allein zu sein, eine Hand aus dem Dunkel, die sie ins Dunkel zog, dann nichts … später vielleicht ein schwarzer Tunnel, an dessen Ende nicht Licht, sondern Leid und Angst warteten. Das Erwachen unter höllischen Kopfschmerzen. Ihre Arme und Schultern überdehnt durch die hängende Haltung in den Ketten, die von der Decke des Verlieses baumelten. Der gallige Geschmack im Hals, der sie sich zu übergeben gezwungen hatte, direkt vor ihre Füße. Dann war ihr bewusst geworden, dass sie nackt war. Sie hing nackt in Ketten, die Handgelenke in Eisenringen, in irgendeinem dunklen Verlies, in dem es muffig roch, feucht war und unendlich still. Nur das leise Tröpfeln von Wasser war zu hören gewesen, weit entfernt jedoch, vom Ton her zu urteilen in einem höhlenartigen Gewölbe.
Plötzlich war in der Finsternis ein Streichholz entzündet worden. Ein winziges Licht, verloren und einsam in der weiten Dunkelheit, und doch kräftig genug, um ihren Augen zu offenbaren, was sie nicht sehen wollten. Stocksteif in den Ketten hängend, hatte sie das flammende Streichholz beobachtet, das durch eine körperlose Hand von Kerze zu Kerze geführt wurde. Sieben Kerzen unterschiedlicher Farbe, deren warmes Licht sich in dem Gewölbe verlor. Ringsherum war die Dunkelheit wie ein zum Sprung bereites Tier hocken geblieben. Die Hand! Zu wem gehörte die Hand? Verschmolzen mit der
Dunkelheit hatte ihr Entführer sich zunächst nicht zu erkennen gegeben, bis seine ersten Worte Frauke bis tief in die Knochen gefahren waren. Eine fremde, eigenartige Stimme, die von überallher zu kommen schien. Von rechts, links, vorn, hinten. Nie zuvor hatte sie eine solche Stimme vernommen. Fistelig und hoch im Klang, mit einer kaum vorhandenen Spur Männlichkeit.
»Wenn du tust, was ich sage, wirst du überleben.«
Dann war er aus der Dunkelheit ins Licht der Kerzen getreten, keine drei Meter von Frauke entfernt. Dieser große muskulöse Mann, mit seinem weichen, welligen Haar, nackt wie sie selbst. Was Frauke aber über den Rand der Panik gestoßen hatte, war der riesige, fleischfarbene Dildo, den er sich um die Lenden geschnallt hatte. Die schwarzen Riemen verliefen über Oberschenkel und Hintern, der Dildo selbst stand steif von seinem Körper ab und war mindestens dreißig Zentimeter lang. Frauke hatte geschrien. Laut und unflätig, wollte den Kerl damit einschüchtern, doch es hatte nicht funktioniert. Er war stehen geblieben, hatte sich ungerührt ihre Tiraden angehört, den Kopf leicht schräg gelegt und zu lächeln begonnen. Schließlich hatte Frauke nicht mehr weitergewusst, außerdem war ihr die Luft ausgegangen. Da war er noch ein Stück näher gekommen, lächelnd, geschmeidig wie eine Raubkatze.
»Hast du Angst?« Aus der Nähe war seine Stimme melodiös, beinahe hypnotisierend. »Du brauchst keine Angst haben. Wenn du tust, was ich sage, wirst du überleben. Aber zunächst …«
Er war ihr ganz nah gekommen, so nah, dass der Riesen-Dildo ihren Bauch gestreift hatte. Dann war ihr ein eigentümlicher Geruch in die Nase gestiegen, den sie sofort erkannt hatte. Babyöl! Damit hatte er dann ihren Körper eingerieben
und gedroht, dass er sie sofort töten würde, wenn sie es nicht zuließe. Überall hatte er sie berührt, überall …
Frauke erstarrte.
Hatte sie nicht ein Geräusch gehört? Kam er schon zurück? Sekunden lag sie mit angehaltenem Atem da und lauschte angestrengt.
Nein, da war nichts, sie hatte sich getäuscht.
Vorerst hatte er ihr nichts weiter angetan, als sie mit dem stinkenden Babyöl einzureiben. Ihr Körper roch immer noch danach, und obwohl sie den Geruch nicht leiden konnte, schon damals nicht, als Mandy noch ein Baby gewesen war, trug er jetzt dazu bei, den Gestank der Decken und
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