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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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immer weiter. Die anderen sechs Blauwale bilden eine Art Speiche, die Köpfe in der Mitte, sodass sie einander mit ihren langen, blaugrauen Schnauzen berühren können.
    Diese Spezies ist die größte, die je auf der Welt gelebt hat. Jedes Tier frisst pro Tag vierzig Millionen Krill. Die Leichtesten unter ihnen wiegen hundert Tonnen, die schwersten hundertsiebzig. Noch vor zwei Jahrhunderten ging ihre Population im Nordatlantik und der Arktis in die Hunderttausende, jetzt sind es nur noch Hunderte. Diese acht Wale gehören zu den letzten ihrer Art, und sie wissen, dass sie jetzt sterben müssen.
    Der älteste Bulle bricht aus der Gruppe aus und beschleunigt. Die anderen Wale folgen. Ihre mächtigen Schwanzflossen peitschen sie nach vorn, und ihre stromlinienförmigen Schnauzen zerteilen das Wasser. Der Bulle gibt das Signal, und alle acht Wale scheren aus dem großen Kreis, in dem sie geschwommen sind, aus und steigen an die Oberfläche. Trotz ihres mächtigen Umfangs gehören sie zu den hydrodynamischsten Walen, und sie schießen an die Oberfläche wie Raketen, die von einem U-Boot abgefeuert werden. Dabei erreichen sie eine Geschwindigkeit von fünfunddreißig Stundenkilometern. Über ihnen liegt der dunkle Rumpf der Jasmine. Sie sind nur noch fünfzig Meter vom Schiff entfernt …
    Kapitän Schwarzkop drehte sich wieder zurück zum Deck. Er blickte auf den Metallkasten, der immer noch an der Seilwinde hing und gab seinem Ersten Offizier ein Zeichen, ihn ins Wasser zu lassen.
    … Und die Wale greifen an. Sie krachen in den Schiffsbauch, und das ganze Schiff wird erschüttert wie von einer Unterwasserdetonation. Schwarzkops Beine versagen ihren Dienst. Er merkt nicht mehr, wie er zusammenbricht.
    Unter dem Schiff treiben sieben tote Wale, die nach außen gedrückt werden. Der achte tote Wal ist auf einem kaputten Eisbrecher-Kabel aufgespießt. Die Wale haben die Haut der ersten Hülle aufgerissen, aber nicht die Haut der zweiten. Millionen Liter Wasser dringen in den Zwischenraum ein. Das Schiff bekommt Schlagseite nach links und beginnt langsam zu kippen.
    Einige Besatzungsmitglieder waren bereits tot, andere so gut wie tot, nur wenige waren noch bei Bewusstsein, und keiner konnte sich selbst helfen. Als die Jasmine sich zur Seite neigte, schrie Matrose Ravn. Männer glitten über Deck und blieben an der Reling hängen. Schließlich war so viel Wasser eingedrungen, dass das Meer das Schiff gierig aufsaugte, und mit ihm gingen die Mannschaft und fünf Metallkisten der Fracht unter. Das Ganze hatte etwa sechs Minuten gedauert.

6
    Die mächtige Schwanzflosse erhebt sich majestätisch über dem dunklen Ozean und scheint einen Augenblick in der Luft zu schweben. Niemand ist da, der die zerbrochene Kette sehen könnte, die an der Schwanzflosse hängt. Geräuschlos gleitet der Wal wieder ins Wasser.
    Mit jedem Schlag seiner Schwanzflosse schwimmt Blackfin tiefer in die eisige, lichtlose Tiefe. Fünfundzwanzig Prozent seines Volumens an Sauerstoff hat er an der Oberfläche aufgenommen; physiologische Mechanismen nutzen diese kostbare Ressource effizient aus. Sein Herzschlag verlangsamt sich dramatisch, und die Blutzirkulation hält nur noch lebenswichtige Funktionen in Gang. Der Druck in zweihundertfünfzig Meter Tiefe presst seine Lungen und seine Rippen zusammen. Von diesem Moment an wird die Sauerstoffversorgung von der hohen Dichte der Myoglobin-Moleküle in seinen Muskeln angekurbelt.
    Blackfin saugt das kalte Wasser durch sein Blasloch ein. Das Walrat, das wächserne Öl in seinem Kopf, zieht sich zusammen und wird in der Kälte dichter, was ihm hilft, mit einem Minimum an Energie zu tauchen. Für menschliche Taucher ist bei fünfhundert Metern das absolute Limit erreicht. Um in solche Tiefen vorzudringen, müssen sie sich tagelang in speziellen Kompressionskammern vorbereiten. Aber Blackfin taucht tiefer – siebenhundert, achthundert, tausend Meter. Seine Lungen sind jetzt ganz platt gedrückt.
    Er ist nun im SOFAR -Kanal, in einer Tiefe, in der der Ozean die Schallwellen weiterleitet. Er empfängt niedrigfrequente Geräusche – weit entfernte Schiffe, ein Sturm an der Ostküste Japans.
    Blackfin beginnt zu klicken; die Coda wird in dieser Tiefe um die halbe Welt getragen, fünfmal so schnell wie der Schall in der Atmosphäre, und alle Pottwale, die sich in gleicher Tiefe aufhalten, empfangen sie. Die Coda ist klar, eindeutig und wird unausgesetzt wiederholt. Es ist ein Aufruf zum Handeln.
    Zwanzig Minuten lang

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