Tief
er hat auch die Kadaver verkauft, und zwar an … Das Schiff, das in SONAZ gesunken ist, gehörte ihm … Ein Gebiet, das von der britischen Regierung über viele Jahre hinweg vergiftet worden ist, wird jetzt erneut kontaminiert … Dr. Ormond und ich verlangen, dass den Walen Gehör geschenkt wird – wir wollen dieses U-Boot, und wir wollen dabei sein, wenn es den Meeresgrund in SONAZ untersucht …«
Adlington betrachtete die Gesichter der beiden. Einige ihrer Behauptungen entsprachen ihren eigenen Befürchtungen. Aber der Rest schien ihr so abwegig, dass es einfach nur lächerlich war. Sprechende Wale?, dachte sie; Wale, die nach einem U-Boot verlangen? Also wirklich …
Trotz des Drucks, unter dem sie stand, war sie entschlossen gewesen, einen ganz normalen Samstag zu verbringen: nur sechs oder acht Stunden Arbeit statt der üblichen vierzehn, und am Abend vielleicht ins Konzert. Und jetzt das. Sie blickte auf ihre Hände und stellte fest, dass sie sie unbewusst öffnete und schloss. Aus dem Obergeschoss kamen die lieblichen Töne einer Violine, die melancholischen Klänge eines Musikstücks, das sie eigentlich kannte, momentan aber nicht ganz einordnen konnte. Ihr Mann war Konzertgeiger, schüchtern, liebevoll und völlig unpolitisch. Sie wurde nie müde, ihm beim Üben zuzuhören.
Sie streckte sich auf einem verschlissenes alten Sofa aus, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Die Federn ächzten leise. Sie legte die Hand auf ihren mächtigen Bauch, während sie weiter dem Geigenspiel ihres Mannes lauschte. Ach ja, das Violinkonzert von Elgar, fiel ihr ein. Aber das war jetzt auch kein Trost.
Wenn das Worst-Case-Szenario stimmte – SONAZ schon früher durch britisches Gift und jetzt erneut durch russische Umweltgifte verschmutzt worden war, deren Entsorgung auch noch von Großbritannien finanziert wurde –, dann hätte das furchtbare Konsequenzen. Zum einen würde im Nordatlantik die Fischfangindustrie zusammenbrechen; man bedenke bloß, in welch astronomischen Höhen sich die Entschädigungen Großbritanniens für die Nationen im Norden bewegen würden. Ob die Regierung dann stürzen würde?
Ihr Instinkt war, alle Behauptungen ernst zu nehmen und den Meeresgrund von SONAZ tatsächlich untersuchen zu lassen. Aber zu den Bedingungen der Regierung, dachte sie, unter der Kontrolle der Regierung; die Vorstellung, dass sich dieses merkwürdige Paar mit in ein U-Boot setzte, war völlig unrealistisch, sie würden viel zu viele Probleme verursachen.
»Roddy Ormond wurde an den Pranger gestellt, als er das Wal-Krisenkoordinationsteam leitete«, sagte ein aufgeregter Journalist auf der Pressekonferenz gerade in die Kamera, während seine Kollegen hinter ihm drängelten, schubsten und schrien, »aber er hat zumindest etwas getan. Seit er von diesem Posten entfernt wurde, ist so gut wie gar nichts mehr geschehen. Wir erwarten die offizielle Reaktion auf diese Pressekonferenz mit äußerstem Interesse, vor allem im Hinblick auf die außergewöhnliche Forderung nach einem U-Boot.«
Das Telefon begann zu klingeln. Adlington hielt die Aufzeichnung an. Ich frage mich, ob ich überhaupt noch Kabinettsministerin bin, dachte sie und ergriff den Hörer.
Fünf Minuten später wurde sie in die Downing Street gefahren, um an einer Notfallsitzung teilzunehmen, die der Premierminister höchstpersönlich leitete.
* * *
Seine Frau hatte ihn verlassen. Irgendein Eindringling hatte stapelweise belastende Dokumente gestohlen. Und als er fassungslos in seinem durchwühlten Büro stand, war Ally rasch an ihm vorbeigeeilt. Sie hatte ihm einen ganz merkwürdigen Blick zugeworfen und war die Treppe hinaufgelaufen. Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr werden, und dann hatte Ormond auch noch eine Pressekonferenz gegeben. Ormond …
Verwirrt sah er zu, wie sie immer wieder im Fernsehen wiederholt wurde: Ormond hat gegen mich gearbeitet, Ormond ist im Besitz meiner Papiere … Es war eine Katastrophe, und er hatte das Gefühl, sein Leben sei endgültig vorbei. Niemand mag mich, dachte er. Niemand hat mich je gemocht, niemand wird mich je mögen … und jetzt bin ich erledigt.
Er wankte durchs Haus und suchte nach Ally, die er jetzt mehr als je zuvor brauchte. Und dann stieß er in der Eingangshalle auf das, was sie ihm hinterlassen hatte.
Eine halbe Stunde später saß er immer noch zusammengesunken dort. Sie hatte einen Stapel Kleider neben die Haustür gelegt: hübsche Kleider, Schulmädchenröcke, weiße
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