Tief
Gefühle aus seinem Kopf zu verbannen. Ein Schauer überlief ihn. Seit sie weg war, hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle.
Er drückte Daumen und Zeigefinger auf die Augen.
»Soll sie doch gehen«, murmelte er. »Wir brauchen sie nicht, stimmt’s?«
»Nein«, flüsterte Ally rau.
»Du wirst mich nie verlassen, Ally, nicht wahr?«
Sein Tonfall klang flehend und fordernd zugleich. O Gott, dachte Ally, das ist der richtige Moment. Sie dachte an Kate oben, die darauf wartete, herunterzukommen. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und drückte sie.
»Nein, Daddy.«
Ihre Stimme klang tonlos und tot; aber er würde das nicht merken.
Seine Hand glitt zu ihrer, er ergriff sie, und ihre Finger verschränkten sich, wie bei einem Liebespaar. Als Ally sich über ihn beugte, fuhr ihr durch den Kopf, wie er einmal – sie war sechzehn gewesen – abends in ihr Zimmer gekommen war und sie zugedeckt hatte. Er war leicht angetrunken gewesen, und seine Hand hatte wie unabsichtlich ihre Brust gestreift.
»Mach dir keine Sorgen, Daddy«, hauchte sie und beugte sich so dicht über ihn, dass er ihre duftende Haut riechen konnte.
»Ally«, grollte er.
Halbherzig versuchte er, sie wegzustoßen.
»Armer Daddy, armer Daddy.«
Sie stand aufrecht neben ihm und drückte seinen Kopf an ihren Bauch. Er schlang die Arme um ihre Taille. Sie musste ihn hier herausholen. Sie tätschelte seine Arme und sagte: »Komm, Daddy, wir gehen nach oben. Du musst dich von all deinen Sorgen ausruhen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Daddy, sei nicht albern.«
»Ich muss auf ein Fax warten«, murmelte er.
Verzweifelt blickte sie auf seinen Scheitel. Am liebsten hätte sie ihn an den Ohren aus dem Raum gezerrt. Was soll ich jetzt tun?, dachte sie voller Panik. Was soll ich denn jetzt tun?
* * *
Als die Stimmen im Untergeschoss leiser wurden, überlegte Kate fieberhaft, wie sie es am besten anstellen sollte. Sie wartete zehn Minuten, dann schlich sie leise die Wendeltreppe hinunter. Nach zwei Dritteln blieb sie stehen, um den Raum in Augenschein zu nehmen. Sie sah die Papiere, die überall verstreut waren, den Computer und die anderen Geräte. Hervorragend. Von Rattigan oder Ally war nichts zu sehen. Wo mochten sie sein? Wahrscheinlich hinter dieser geschlossenen Tür. Rasch huschte sie hinunter an den Schreibtisch. Jetzt musste sie nur noch ein Dokument finden, auf dem »Jasmine« stand.
Sie raffte einen Teil der Papiere vom Schreibtisch zusammen und stellte sich an den Fuß der Wendeltreppe, damit sie wenigstens den Versuch machen konnte zu fliehen, falls der Mann auftauchte. Rasch überflog sie das erste Blatt. BIMCO VERSCHIFFUNGSFORMULAR . Das schien eine Art Vertrag zwischen einem Schiffseigner und einem Betreiber zu sein, in dem es um ein Schiff namens Baltic Express ging. Das nächste Dokument enthielt eine Registrierungsnummer, die Zypern für einen Kreuzer namens Grendel ausgestellt hatte. Alles Fotokopien, sagte Kate sich, als sie die Blätter durchsah. Das dritte Blatt war ein Dokumenten-Akkreditiv, ausgestellt von der International Iberian Bank über eine Zahlung von 1231450 Pfund bei Erhalt von Dokumenten bezüglich einer Ladung Kaffeebohnen auf einem Schiff namens Indigo . Hastig blätterte Kate weiter, aber nach fünf Minuten hatte sie immer noch nichts gefunden, was auf die Jasmine hinwies. Obwohl es völlig unterschiedliche Dokumente waren, betrafen fast alle dieselben vier Schiffe: Baltic Express, Grendel, Gold Rush und Indigo.
Die Tatsache, dass Rattigan da unten hinter dieser Tür war, machte sie nervös. Als sie zum Schreibtisch zurückschlich, um sich die restlichen Unterlagen zu holen, fragte sie sich, womit Ally ihn wohl ablenkte. Was war hinter dieser Tür? Ein Fernsehzimmer? Eine Küche? Tranken sie zusammen gemütlich eine Tasse heißen Kakao?
Ihr Blick fiel auf einen Monitor über Rattigans Schreibtisch. Das Bild war schwarz-weiß und die Qualität nicht besonders gut, aber als Kate näher heranging, erstarrte sie ungläubig.
Dann jedoch raffte sie die restlichen Papiere in fieberhafter Eile zusammen. Wo waren nur die Beweise? Rattigan, Jasmine, Rattigan, Jasmine, die Wörter müssen doch hier irgendwo stehen, dachte sie. Wo sind sie nur?
Sie konzentrierte sich so sehr, dass sie vor Schreck fast umfiel, als das Telefon klingelte. Panisch blickte sie zum Monitor auf das Bild von Rattigan und Ally.
Hinter der geschlossenen Tür des Personalbüros erstarrte Ally neben der massiven Gestalt ihres Vaters. Sie
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