Tiefe Wunden
Ritter lächelte gezwungen. »Es gibt eine einstweilige Verfügung. Und eine Unterlassungsklage gegen mich und den Verlag. Außerdem hat mich Siegbert massiv bedroht. Er sagte, dass ich keine Freude mehr an irgendwelchen Tantiemen haben würde, sollte ich meine lügnerischen Behauptungen jemals publik machen.«
»Geben Sie uns die Tagebücher«, forderte Bodenstein ihn auf.
»Sie sind nicht hier. Außerdem sind diese Tagebücher meine Lebensversicherung. Die einzige, die ich habe.«
»Hoffentlich irren Sie sich da nicht.« Pia zog ein Röhrchen aus der Tasche. »Gegen eine Speichelprobe haben Sie sicherlich nichts einzuwenden, oder?«
»Nein, habe ich nicht.« Ritter steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und musterte Pia abfällig. »Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wozu das gut sein soll.«
»Damit wir Ihre Leiche schneller identifizieren können«,entgegnete Pia kalt. »Ich fürchte nämlich, Sie unterschätzen die Gefahr, in die Sie sich begeben haben.«
Das Funkeln in Ritters Augen wurde feindselig. Er nahm Pia das Wattestäbchen aus der Hand, öffnete den Mund und fuhr mit dem Stäbchen über die Innenseite seiner Mundschleimhaut.
»Danke.« Pia nahm das Teststäbchen und verschloss die Probe ordnungsgemäß. »Morgen schicken wir unsere Kollegen bei Ihnen vorbei, die Tagebücher abholen. Und falls Sie sich in irgendeiner Weise bedroht fühlen, rufen Sie mich an. Meine Karte haben Sie ja.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ritter das alles glaube«, sagte Pia, als sie den Parkplatz überquerten. »Der Mann ist hochgradig rachsüchtig. Sogar seine Ehe ist pure Rache.«
Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie blieb abrupt stehen. »Was ist?«, fragte Bodenstein.
»Diese Frau in seinem Büro«, sagte Pia und versuchte, sich an ihre Unterhaltung mit Christina Nowak zu erinnern. »Schön, dunkelhaarig, elegant – das könnte dieselbe Frau gewesen sein, mit der Nowak sich in Königstein vor dem Haus getroffen hat!«
»Tatsächlich.« Bodenstein nickte. »Sie kam mir auch irgendwie bekannt vor. Ich komme nur nicht darauf, woher.« Er reichte Pia den Autoschlüssel.
»Ich bin sofort wieder da.«
Er ging zurück in das Gebäude und lief die Treppen hinauf in den obersten Stock. Vor der Tür wartete er einen Moment, bis er nicht mehr wie ein Walross schnaufte, dann klingelte er. Die Empfangsdame klapperte erstaunt mit den künstlichen Wimpern, als sie ihn erblickte.
»Wissen Sie, wer die Frau war, die vorhin bei Herrn Dr. Ritter war?«, fragte er. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß,legte den Kopf schief und rieb Zeigefinger und Daumen der rechten Hand.
»Kann schon sein.«
Bodenstein verstand. Er zückte seine Brieftasche und holte einen Zwanzigeuroschein heraus. Die Frau zog eine verächtliche Grimasse, die erst ein Fünfziger in ein Lächeln verwandelte.
»Katharina ... « Sie schnappte den Schein und hielt weiterhin die Hand hin. Bodenstein seufzte und reichte ihr auch noch den Zwanziger. Sie ließ beide Geldscheine im Schaft ihres Stiefels verschwinden.
»Ehrmann. « Sie beugte sich vor und senkte verschwörerisch die Stimme. »Aus der Schweiz. Wohnt irgendwo im Taunus, wenn sie in Deutschland ist. Fährt einen schwarzen 5er mit Züricher Kennzeichen. Und falls Sie jemanden kennen, der eine tüchtige Sekretärin sucht, denken Sie an mich. Ich hab den Laden hier nämlich echt satt.«
»Ich hör mich mal um.« Bodenstein, der das für einen Witz hielt, zwinkerte ihr zu und steckte seine Visitenkarte in die Tastatur ihres Computers. »Schicken Sie mir eine E-Mail. Mit Lebenslauf und Zeugnissen.«
Bodenstein ging eilig durch die Reihen abgestellter Autos, während er sein Handy auf inzwischen eingegangene Nachrichten prüfte. Beinahe wäre er dabei gegen einen schwarzen Kastenwagen geprallt. Pia tippte gerade eine SMS, als Bodenstein zu seinem BMW zurückkehrte.
»Miriam soll mal überprüfen, ob das stimmt, was Ritter uns gerade erzählt hat«, erklärte sie und gurtete sich an. »Vielleicht existieren noch Kirchenbücher von 1942.«
Bodenstein startete den Motor.
»Die Frau, die vorhin bei Ritter war, war Katharina Ehrmann«, sagte er.
»Ach? Etwa die mit den vier Prozent Stimmanteilen? « Pia war erstaunt. »Was hat die denn mit Ritter zu tun?«
»Fragen Sie mich was Leichteres.« Bodenstein manövrierte den BMW aus der Parklücke und drückte am Multifunktionslenkrad auf die Rückruftaste des Telefons. Wenig später meldete sich Ostermann.
»Chef, hier ist die Hölle
Weitere Kostenlose Bücher