Tiefe Wunden
am Freitag letzter Woche mit Marcus Nowak in Königstein getroffen?«, wollte Bodenstein wissen. »Nowaks Frau hat Sie in das Auto ihres Mannes einsteigen und wegfahren sehen. Haben Sie ein Verhältnis mit ihm?«
»So schnell geht’s bei mir dann doch nicht.« Katharina Ehrmann schien ehrlich amüsiert. »Ich habe ihn an dem Tag zum ersten Mal gesehen. Er hatte mir von Elard die Tagebücher und die anderen Unterlagen, um die ich ihn gebeten hatte, gebracht und war dann noch so freundlich, mich ein Stück mitzunehmen, bevor er sich mit Thomas getroffen hat.«
Pia und Bodenstein wechselten einen überraschten Blick. Das waren ja interessante Neuigkeiten! So war Ritter also an die Informationen gekommen. Elard selbst hatte seine Mutter ans Messer geliefert.
»Das Haus, vor dem Sie sich mit Nowak getroffen haben und in dem Watkowiaks Leiche gefunden wurde, gehört Ihnen«, sagte Pia. »Was sagen Sie dazu?«
»Was soll ich dazu sagen?« Katharina Ehrmann wirkte nicht sonderlich betroffen. »Das ist mein Elternhaus, ich will es seit Jahren verkaufen. Der Makler hat mich letzten Samstag angerufen und mir auch schon Vorwürfe gemacht. Als ob ich etwas dafür könnte, dass Robert beschlossen hat, sich ausgerechnet dort das Leben zu nehmen!«
»Wie ist Watkowiak in das Haus hineingekommen?«
»Mit einem Schlüssel, vermute ich«, erwiderte Katharina Ehrmann zu Pias Überraschung. »Ich habe ihm erlaubt, das Haus zu benutzen, als er mal wieder einen Unterschlupf brauchte. Wir waren einmal ziemlich gut befreundet, Robert, Jutta und ich. Er hat mir damals leidgetan.«
Das wagte Pia zu bezweifeln. Katharina Ehrmann machte keinen sonderlich mitfühlenden Eindruck.
»Er hat sich übrigens nicht das Leben genommen«, sagte sie. »Er wurde ermordet.«
»Ach?« Auch diese Information brachte die Frau nicht aus der Fassung.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?«
»Das ist noch nicht so lange her.« Sie überlegte. »Ich glaube, es war letzte Woche. Er rief an und sagte, die Polizei würde ihn wegen der Morde an Goldberg und Schneider suchen. Aber er sei es nicht gewesen. Ich sagte ihm, dann sei es das Klügste, wenn er zur Polizei gehen und sich stellen würde.«
»Das hat er leider nicht getan. Sonst würde er unter Um ständen noch leben«, erwiderte Pia. »Denken Sie, Ritters Verschwinden könnte etwas mit dieser Biographie zu tun haben, an der er schreibt?«
»Möglich.« Katharina Ehrmann zuckte mit den Schultern. »Das, was wir über die Vergangenheit von Vera erfahren haben, könnte sie ins Gefängnis bringen. Und zwar für den Rest ihres Lebens.«
»Der Tod von Eugen Kaltensee war kein Unfall, sondern Mord?«, vermutete Pia.
»Unter anderem«, erwiderte Katharina Ehrmann. »Aber in erster Linie geht es wohl darum, dass Vera und ihr Bruder damals in Ostpreußen mehrere Menschen erschossen haben sollen.«
Der 16. Januar 1945. Die vier Musketiere im Kübelwagen auf dem Weg nach Gut Lauenburg. Die Familie Zeydlitz-Lauenburg, die seither als verschollen galt.
»Wie hat Ritter davon erfahren?«, erkundigte Pia sich. »Von einer Augenzeugin.«
Eine Augenzeugin, die das Geheimnis der vier alten Freunde gekannt hatte. Wer war sie, und wem hatte sie noch davonerzählt? Pia fühlte sich wie elektrisiert. Sie waren nur noch Millimeter von der Aufklärung der drei Morde entfernt!
»Halten Sie es für möglich, dass jemand von der Familie Kaltensee Ritter entführt hat, um das Erscheinen des Buches zu verhindern?«
»Ich traue denen alles zu«, bestätigte Katharina Ehrmann. »Vera geht über Leichen. Und Jutta ist nicht viel besser.«
Pia warf ihrem Chef einen Blick zu, aber der trug eine unbeteiligte Miene zur Schau.
»Aber wie können Kaltensees davon erfahren haben, dass Elard Thomas Ritter diese Informationen zugespielt hatte?«, fragte er nun. »Wer wusste darüber Bescheid?«
»Eigentlich nur Elard, Thomas, Elards Freund Nowak und ich«, erwiderte Katharina Ehrmann nach kurzem Nachdenken.
»Haben Sie am Telefon darüber gesprochen?«, forschte Bodenstein.
»Ja«, sagte Katharina Ehrmann zögernd. »Nicht über Details, aber darüber, dass Elard uns den Inhalt dieser Kiste zur Verfügung stellen würde.«
»Wann war das?«
»Am Freitag.«
Am Sonntagabend darauf war Nowak überfallen worden. Das passte.
»Mir fällt gerade ein, dass Thomas mich vorgestern Abend aus dem Büro angerufen hat. Er machte sich Sorgen, weil auf dem Parkplatz ein Lieferwagen stand, in dem zwei Männer saßen. Ich habe
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