Tiefe Wunden
für die Mordnächte. Ihre Frau hat uns heute bestätigt, dass Sie in keiner der betreffenden Nächte zu Hause waren. Wollen Sie dazu etwas sagen?«
Nowak antwortete nicht, stattdessen ließ er das Handy los und griff nach Pias Hand. Sichtlich verzweifelt rang er um Worte. Schweiß rann über sein Gesicht, ein Anfall von Schüttelfrost ließ ihn erschauern. Pia erinnerte sich an die Warnung der Ärztin im Hofheimer Krankenhaus, Nowak habe bei dem Überfall eine Leberverletzung erlitten. Offenbar hatte der Transport hierher die innerliche Verletzung verschlimmert.
»Ganz ruhig«, sagte sie und streichelte seine Hand. »Wir bringen Sie jetzt erst mal ins Krankenhaus. Wenn es Ihnen bessergeht, reden wir.«
Er sah sie an wie ein Ertrinkender, die dunklen Augen panisch geweitet. Wenn Marcus Nowak nicht bald Hilfe bekam, würde er sterben. War das Elard Kaltensees Plan gewesen? Hatte er ihn deshalb hierhergebracht, wo ihn niemand finden würde? Aber wieso hatte er ihm dann nicht das Handy abgenommen?
»Der Notarzt ist da«, unterbrach eine Stimme ihre Gedanken. Zwei Sanitäter schoben eine fahrbare Trage in den Kellerraum, ein Arzt mit einer orangefarbenen Weste und Rot-Kreuz-Kofferin der Hand folgte ihnen. Pia wollte aufstehen, um dem Arzt Platz zu machen, aber Marcus Nowak ließ ihre Hand nicht los.
»Bitte ... «, flüsterte er verzweifelt. »Bitte ... nicht Elard ... meine Oma ...«
Er brach ab.
»Meine Kollegen werden auf Sie aufpassen«, sagte Pia leise. »Machen Sie sich keine Sorgen. Professor Kaltensee wird Ihnen nichts mehr tun, das verspreche ich Ihnen.«
Sie löste sich sanft aus Nowaks Umklammerung und erhob sich.
»Er hat eine Leberverletzung«, informierte sie den Notarzt, dann wandte sie sich ihren Kollegen zu, die mittlerweile die Kiste untersucht hatten. »Und, was habt ihr gefunden?«
»Unter anderem die SS-Uniform von Oskar Schwinderke«, erwiderte Bodenstein. »Den Rest schauen wir uns auf dem Kommissariat an.«
»Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass Elard Kaltensee ein Mörder ist«, sagte Pia zu Bodenstein. »Er hätte Nowak in dem Kellerloch elendig verrecken lassen, nur um sich selbst nicht die Finger schmutzig machen zu müssen.«
Sie waren auf dem Weg zurück nach Hofheim. Auf dem Kommissariat wartete Katharina Ehrmann, in den Arrestzellen saßen die sechs K-Secure-Leute.
»Wen hat Nowak zuletzt angerufen?«, erkundigte sich Bodenstein.
»Keine Ahnung, das Handy ist ausgeschaltet. Wir müssen die Einzelverbindungsnachweise anfordern.«
»Warum hat Kaltensee ihm das Handy nicht abgenommen? Er musste doch damit rechnen, dass Nowak jemanden anrufen würde.«
»Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Wahrscheinlichhat er nicht gewusst, dass wir das Handy orten könnten.« Pia zuckte zusammen, als das Autotelefon schrillte. »Oder er hat überhaupt nicht daran gedacht.«
»Hallo«, tönte eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher. »Herr Bodenstein?«
»Ja«, Bodenstein warf Pia einen ratlosen Blick zu und zuckte die Schultern, »wer spricht denn da?«
»Sina. Ich bin die Sekretärin von der Weekend .«
»Ah ja. Was kann ich für Sie tun?«
»Herr Ritter hat mir gestern Abend einen Umschlag gegeben«, sagte sie. »Ich sollte ihn aufbewahren. Aber jetzt, wo er verschwunden ist, habe ich mir gedacht, dass das für Sie wichtig sein könnte. Da steht nämlich Ihr Name drauf.«
»Tatsächlich? Wo sind Sie jetzt?«
»Noch hier, im Büro.«
Bodenstein zögerte.
»Ich schicke einen Kollegen vorbei, der den Umschlag holt. Bitte warten Sie so lange.«
Pia griff schon nach ihrem Handy und wies Behnke an, in die Redaktion nach Fechenheim zu fahren. Seinen wütenden Fluch angesichts der Aussicht, um diese Uhrzeit quer durch die Stadt fahren zu müssen, überhörte sie.
»Ja, das stimmt«, nickte Katharina Ehrmann. »Mein Verlag wird die Biographie von Vera Kaltensee herausbringen. Ich fand Thomas’ Idee großartig und habe ihn in seinem Vor haben unterstützt.«
»Sie wissen, dass er seit gestern Abend verschwunden ist, oder?« Pia betrachtete die Frau, die ihr gegenübersaß. Katharina Ehrmann war ein bisschen zu schön, um echt zu sein. Ihr ausdrucksloses Gesicht zeugte entweder von mangelndem Mitgefühl oder zu viel Botox.
»Wir waren gestern Abend verabredet«, erwiderte sie. »Alser nicht kam, habe ich versucht, ihn anzurufen, aber er ging nicht dran. Später war sein Handy dann ausgeschaltet.«
Das deckte sich mit der Aussage von Marleen Ritter.
»Warum haben Sie sich
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