Tiefe Wunden
ganz sicher nicht machen. Was Sie tun, das tun Sie mit meiner vollen Rückendeckung. Ich bin schließlich Ihr Chef.«
Sie standen da und blickten sich im Licht des Hofscheinwerfers an.
»Passen Sie bloß auf sich auf«, sagte Bodenstein mit rauer Stimme. »Ich wüsste echt nicht, was ich ohne Sie anfangen sollte, Pia.«
Es war das erste Mal, dass er sie beim Vornamen nannte. Pia wusste nicht ganz, was sie davon halten sollte, aber irgendetwas hatte sich in den letzten Wochen zwischen ihnen verändert. Bodenstein hatte seine Distanz aufgegeben.
»Uns passiert schon nichts«, versicherte sie. Er öffnete die Fahrertür, stieg aber nicht ein.
»Zwischen Dr. Engel und mir stehen nicht nur die Vorkommnissebei diesen Ermittlungen damals«, rückte er endlich heraus. »Wir hatten uns beim Jurastudium in Hamburg kennengelernt und waren zwei Jahre lang zusammen. Bis mir Cosima über den Weg gelaufen ist.«
Pia hielt den Atem an. Woher kam plötzlich dieses Mitteilungsbedürfnis?
»Nicola hat mir nie verziehen, dass ich mit ihr Schluss gemacht und nur drei Monate später Cosima geheiratet habe.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sie trägt mir das bis heute nach. Und ich Idiot liefere ihr auch noch eine solche Steilvorlage!«
Jetzt erst verstand Pia, was ihr Chef befürchtete.
»Sie meinen, sie könnte Ihrer Frau von dem ... äh ... Vorfall erzählen?«
Bodenstein stieß einen Seufzer aus und nickte.
»Dann sagen Sie ihr selbst, was passiert ist, bevor sie es von der Engel erfährt«, riet Pia. »Sie haben doch die Laborergebnisse als Beweis dafür, dass die Kaltensee Sie in eine Falle gelockt hat. Ihre Frau wird das verstehen, da bin ich sicher.«
»Ich leider nicht«, erwiderte Bodenstein und stieg ins Auto. »Also, passen Sie auf sich auf. Gehen Sie keine unnötigen Risiken ein. Und melden Sie sich regelmäßig.«
»Das mache ich«, versprach Pia und hob grüßend die Hand, als er davonfuhr.
Bodenstein saß an seinem Laptop, in den er eine Kopie der CD-ROM mit dem Manuskript der Vera-Kaltensee-Biographie geschoben hatte, und versuchte, sich zu konzentrieren. Selbst eine halbe Packung Aspirin hatte nichts gegen seine quälenden Kopfschmerzen ausrichten können. Der Text verschwamm vor seinen Augen, seine Gedanken waren ganz woanders. Er hatte gelogen, als er Cosima vorhin gesagt hatte, dass er vor dem Schlafengehen noch das Manuskriptlesen müsse, weil es wichtig für seine Ermittlungen sei, und sie hatte es ihm ohne zu zögern geglaubt. Seit geschlagenen zwei Stunden überlegte er nun, ob er ihr von dem Vorfall erzählen und wenn ja, wie er anfangen sollte. Er war es nicht gewöhnt, Geheimnisse vor Cosima zu haben, und fühlte sich entsetzlich elend dabei. Mit jeder Minute, die verstrich, sank ihm der Mut. Was, wenn sie ihm nicht glaubte, wenn sie in Zukunft immer misstrauisch sein würde, wenn er mal länger wegblieb?
»Verdammt«, murmelte er und klappte den Laptop zu. Er knipste die Schreibtischlampe aus und ging mit schweren Schritten die Treppe hoch. Cosima lag im Bett und las. Als er eintrat, legte sie das Buch zur Seite und blickte ihn an. Wie schön sie war, wie vertraut ihr Anblick! Unmöglich, ein solches Geheimnis vor ihr zu haben! Stumm sah er sie an und suchte nach den richtigen Worten.
»Cosi«, sein Mund war trocken wie Papier, er zitterte innerlich, »ich ... ich ... muss dir etwas sagen ...«
»Na endlich«, erwiderte sie.
Er starrte sie wie vom Donner gerührt an. Zu seiner Überraschung lächelte sie sogar ein wenig.
»Das schlechte Gewissen steht dir ins Gesicht geschrieben, mein Lieber«, sagte Cosima. »Ich hoffe nur, dass es nichts mit deiner alten Flamme Nicola zu tun hat. Und jetzt erzähl schon.«
Freitag, 11. Mai 2007
Siegbert Kaltensee saß am Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Hauses und starrte das Telefon an, während seine Tochter sich in der Küche die Augen ausweinte. Thomas Ritter war seit nunmehr sechsunddreißig Stunden wie vom Erdboden verschluckt, und Marleen hatte in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich ihrem Vater anzuvertrauen. Siegbert hatte sich nicht anmerken lassen, dass er bereits über alles Bescheid wusste. Sie hatte ihn um Hilfe angefleht, aber er hatte ihr nicht helfen können. Inzwischen war ihm bewusst geworden, dass nicht er die Fäden in der Hand hielt, wie er es die ganze Zeit angenommen hatte. Die Polizei hatte mit dem Bodenradargerät auf dem Mühlenhof Reste eines menschlichen Skeletts gefunden.
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