Tiefe Wunden
unterstützten. Ostermann und Pia Kirchhoff sollten sich um die Aufarbeitung eines ungeklärten Raubüberfalles kümmern. Bodenstein wartete, bis er mit den beiden alleine war, und berichtete ausführlich von seinen Erkenntnissen über Goldbergs Vergangenheit und den seltsamen Ereignissen am Sonntagmorgen, die dazu geführt hatten, dass es für das K11 keinen Fall Goldberg mehr gab.
»Das heißt, wir sind wirklich raus?«, fragte Ostermann ungläubig.
»Offiziell ja.« Bodenstein nickte. »Weder die Amerikaner noch das BKA zeigen ein Interesse an irgendeiner Art der Aufklärung, und Nierhoff ist einfach nur erleichtert, die Angelegenheit vom Hals zu haben.«
»Was ist mit der Auswertung der Spuren im Labor?«, wollte Pia wissen.
»Ich würde mich nicht wundern, wenn sie die vergessen hätten«, entgegnete Bodenstein. »Ostermann, setzen Sie sich gleich mal mit dem Kriminallabor in Verbindung und forschen unauffällig nach. Sollte es schon Ergebnisse geben, holen Sie die persönlich in Wiesbaden ab.«
Ostermann nickte.
»Die Haushälterin hat mir erzählt, dass Goldberg am Donnerstagnachmittag Besuch von einem glatzköpfigen Mann und einer dunkelhaarigen Dame hatte«, sagte Pia. »Am Dienstag war am frühen Abend ein Mann da, dem die Haushälterin noch begegnet ist, als sie gerade gehen wollte. Er hatte sein Auto direkt vor dem Tor geparkt, einen Sportwagen mit Frankfurter Kennzeichen.«
»Na, das ist doch schon mal was. Haben Sie noch mehr?«
»Ja«, Pia sah in ihren Notizen nach. »Goldberg bekam zweimal in der Woche frische Blumen. Am Mittwoch brachte sie nicht wie üblich der Blumenhändler, sondern ein ziemlich ungepflegter Mann, etwa Anfang bis Mitte vierzig. Die Haushälterin hat ihn hereingelassen. Der Mann ist direkt zu Goldberg gegangen und hat ihn geduzt. Das Gespräch konnte sie nicht hören, weil der Mann die Tür zum Wohnzimmer zugemacht hatte, aber dieser Besuch hatte den alten Herrn ziemlich aufgeregt. Er hat der Haushälterin befohlen, demnächst die Blumen an der Haustür entgegenzunehmen und niemanden mehr ins Haus zu lassen.«
»Gut.« Bodenstein nickte. »Ich frage mich nur immer noch, was diese Zahl auf dem Spiegel bedeutet.«
»Eine Telefonnummer«, überlegte Ostermann. »Oder die Nummer eines Schließfachs, ein Passwort, ein Schweizer Nummernkonto oder eine Mitgliedsnummer ...«
»Eine Mitgliedsnummer!«, unterbrach Pia ihren Kollegen. »Wenn das Motiv für den Mord tatsächlich in Goldbergs Vergangenheit liegt, könnte die 16145 seine Mitgliedsnummer bei der SS gewesen sein.«
»Goldberg war zweiundneunzig«, gab Ostermann zu bedenken. »Jemand, der seine Mitgliedsnummer von früher kennt, müsste ja fast genauso alt sein.«
»Nicht zwangsläufig«, erwiderte Bodenstein nachdenklich.»Es würde reichen, dass er über Goldbergs Vergangenheit Bescheid weiß.«
Er erinnerte sich an Fälle von Mördern, die an Tatorten oder ihren Opfern ganz offensichtliche Botschaften hinterließen, als makabres Markenzeichen. Täter, die mit der Polizei ein Spielchen spielen und damit ihre Intelligenz und Raffinesse unter Beweis stellen wollten. War es in diesem Fall genauso? War diese Zahl am Spiegel in Goldbergs Diele ein Zeichen? Wenn ja, was bedeutete es? War es ein Hinweis oder absichtliche Irreführung? Bodenstein konnte sich ebenso wenig einen Reim darauf machen wie seine Kollegen, und er fürchtete, dass der Mord an David Josua Goldberg tatsächlich unaufgeklärt bleiben würde.
Marcus Nowak saß am Schreibtisch seines kleinen Büros und sortierte sorgfältig die Unterlagen, die er für die Besprechung übermorgen brauchte. Endlich schien Bewegung in das Projekt zu kommen, in das er so viel Zeit investiert hatte. Vor kurzem hatte die Stadt Frankfurt das Technische Rathaus zurückgekauft, das im Zuge einer umfangreichen Altstadtsanierung abgerissen werden sollte. Bereits im Sommer 2005 hatte man im Frankfurter Stadtparlament heftig darüber debattiert, welche Architektur an der Stelle des hässlichen Betonklotzes entstehen sollte. Geplant war der Wiederaufbau von Teilen der früheren Altstadt zwischen Dom und Römerberg; sieben der im Krieg zerstörten Fachwerkhäuser von stadthistorischer Bedeutung sollten möglichst originalgetreu rekonstruiert werden. Für einen begabten, aber noch ziemlich unbekannten Restaurator wie Marcus Nowak bedeutete eine solche Aufgabe mehr als nur eine unglaubliche berufliche Herausforderung und eine Auslastung seiner Firma auf Jahre hinaus. Ihm bot sich
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