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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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stand ein altmodischer Filmprojektor.
    »Na, dann schauen wir doch mal, was sich der alte Knabe im stillen Kämmerlein für Filme angesehen hat.« Bodenstein trat an den Projektor heran, in den eine Filmrolle eingelegt war, und drückte auf gut Glück ein paar Knöpfe. Pia versuchte sich an den Schaltern neben der Tür, und plötzlich glitt der Vorhang zur Seite. Beide zuckten erschrocken zusammen, als aus unsichtbaren Lautsprechern Gewehrfeuer undMarschmusik ertönten. Sie starrten auf die Leinwand. Panzer rollten über verschneites Land, in flackerndem Schwarzweiß grinsende Gesichter junger Soldaten, die an Flakgeschützen und Maschinengewehren hockten. Flugzeuge vor grauem Himmel.
    »Die Wochenschau«, sagte Pia erstaunt. »Er hat hier in seinem Privatkino die Wochenschau angesehen? Wie krank muss man denn dazu sein?«
    »Damals war er jung.« Bodenstein, der schon befürchtet hatte, ein Pornofilmarchiv vorzufinden, zuckte die Schultern. »Vielleicht hat er sich einfach gerne an diese Zeit erinnert.«
    Er ging die Unmengen akkurat beschrifteter Filmspulen durch, die in einem Regal lagerten, und entdeckte darunter zahllose Folgen der deutschen Wochenschau aus den Jahren von 1933 bis 1945, Aufnahmen von Goebbels’ Rede im Sportpalast, Filme über die NSDAP-Reichsparteitage in Nürnberg, Leni Riefenstahls »Triumph des Willens«, »Stürme über dem Montblanc« und andere Raritäten, für die Sammler ein Vermögen bezahlen würden. Bodenstein schaltete den Filmprojektor aus.
    »Er hat sich diese Filmchen offenbar mit seinem Besuch angesehen.« Pia wies auf drei benutzte Gläser, zwei leere Weinflaschen und einen überquellenden Aschenbecher, die auf einem Tischchen zwischen den Sitzreihen standen. Sie ergriff vorsichtig ein Glas und betrachtete es genau. Ihre Vermutung bestätigte sich: Die Neige auf dem Boden des Glases war noch nicht eingetrocknet. Bodenstein ging zurück in den Flur und rief die Beamten von der Spurensicherung in den Keller, dann folgte er Pia in den nächsten Raum. Dessen Einrichtung verschlug ihnen für ein paar Sekunden die Sprache.
    »Um Himmels willen«, stieß Pia angewidert hervor. »Ist das eine Filmkulisse?«
    Der fensterlose Raum, der durch die Holzbalkenimitatean der Decke und den dunkelroten Teppichboden noch niedriger wirkte, als er ohnehin war, wurde von einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Mahagoni beherrscht. Bücherregale bis an die Zimmerdecke, Aktenschränke, ein schwerer Tresor, an den Wänden eine Hakenkreuzfahne und mehrere gerahmte Fotos von Adolf Hitler und anderen Nazigrößen. Im Gegensatz zum oberen Teil des Hauses, der unpersönlich und fast unbewohnt wirkte, stapelten sich hier die Hinterlassenschaften und Zeugnisse eines langen Menschenlebens. Pia betrachtete eines der Bilder genau und schauderte.
    »Dieses Foto hat eine persönliche Widmung von Hitler. Ich komme mir vor wie im Bunker unter der Reichskanzlei.«
    »Schauen Sie sich auf dem Schreibtisch um. Wenn wir irgendwo einen Hinweis finden, dann hier.«
    »Jawohl, mein Führer!« Pia stand stramm.
    »Lassen Sie die Witze.« Bodenstein blickte sich in dem überfüllten, düsteren Raum um, der eine klaustrophobische Wirkung auf ihn ausübte. Pia Kirchhoffs Vergleich mit einem Bunker war gar nicht so weit hergeholt. Während sie sich an den Schreibtisch setzte und mit spitzen Fingern eine Schublade nach der anderen öffnete, nahm Bodenstein wahllos Ordner und Fotoalben aus den Regalen und blätterte in ihnen herum.
    »Mein Gott, was ist das denn?« Kröger vom Erkennungsdienst trat ein.
    »Gruselig, nicht wahr?« Pia blickte kurz auf. »Könnt ihr bitte den ganzen Kram hier einpacken, wenn ihr alles fotografiert habt? Ich habe keine Lust, länger als nötig in diesem Loch zu hocken.«
    »Dazu brauchen wir wohl einen LKW.« Der Beamte sah sich wenig begeistert um und zog eine Grimasse. In der zweiten Schublade von oben stieß Pia auf sorgfältig abgeheftete Kontoauszüge von verschiedenen Banken. Herrmann Schneiderhatte eine ordentliche Pension erhalten, aber außerdem fand sich auf den Auszügen einer Schweizer Bank eine regelmäßige Zahlung von fünftausend Euro im Monat. Der aktuelle Stand dieses Kontos belief sich auf hundertzweiundsiebzigtausend Euro.
    »Chef«, sagte Pia. »Jemand hat ihm jeden Monat fünftausend Euro überwiesen. KMF. Was bedeutet das wohl?« Sie reichte Bodenstein einen der Ausdrucke.
    »Kriegsministerium Frankfurt«, vermutete Kröger.
    »Konto meines Führers«, witzelte sein Kollege.

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