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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Bodenstein spürte, wie das Unbehagen in seinem Innern stärker wurde, denn die Verbindung war nun nicht mehr zu übersehen Die Einladung oben in der Küche, Zahlungen von der KMF, die ominöse Zahl, die der Täter an beiden Tatorten zurückgelassen hatte. Es war an der Zeit, einer sehr angesehenen Dame einen Besuch abzustatten, auch wenn alles ein bloßer Zufall sein mochte.
    »KMF bedeutet Kaltensee Maschinenfabrik«, sagte er mit gesenkter Stimme zu Pia. »Schneider hat Vera Kaltensee gekannt. Genau wie Goldberg.«
    »Sie hatte offenbar ganz feine Freunde«, antwortete Pia.
    »Wir wissen doch gar nicht, ob es wirklich ihre Freunde waren«, gab Bodenstein zu bedenken. »Vera Kaltensee genießt einen untadeligen Ruf, an ihrer Integrität gibt es überhaupt keinen Zweifel.«
    »Goldbergs Ruf war auch untadelig«, sagte Pia ungerührt.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Dass nichts so sein muss, wie es auf den ersten Blick scheint.«
    Bodenstein blickte nachdenklich auf die Kontoauszüge.
    »Ich fürchte, es gibt in Deutschland noch Tausende, die in ihrer Jugend mit den Nazis sympathisiert haben oder selbstwelche waren«, sagte er. »Das alles liegt sechzig Jahre zurück.«
    »Das rechtfertigt nichts«, entgegnete Pia und erhob sich. »Und dieser Schneider war kein bloßer Sympathisant. Das war ein Vollblut-Nazi. Schauen Sie sich doch nur um.«
    »Wir können aber nicht automatisch davon ausgehen, dass Vera Kaltensee von der Nazi-Vergangenheit zweier Bekannter auch gewusst hat«, sagte Bodenstein und stieß einen Seufzer aus. Eine düstere Vorahnung erfüllte ihn. Mochte Vera Kaltensees Ruf auch noch so untadelig sein, sobald die Presse sie erst mit dieser braunen Soße in Verbindung gebracht hatte, würde unweigerlich etwas davon an ihr kleben bleiben.
     
    Er stieg am Parkplatz in Königstein aus dem Bus und schlenderte durch die Fußgängerzone. Es war ein gutes Gefühl, Geld zu haben. Robert Watkowiak betrachtete zufrieden sein Spiegelbild in den Schaufenstern und beschloss, sich von Onkel Herrmanns Kohle als Erstes die Zähne reparieren zu lassen. Mit dem neuen Haarschnitt und dem Anzug fiel er schon nicht mehr auf; keiner der übrigen Passanten blickte sich kopfschüttelnd nach ihm um. Das war ein noch besseres Gefühl. Wenn er ehrlich war, hing ihm das Leben, zu dem man ihn mehr oder weniger gezwungen hatte, aus dem Hals raus. Er brauchte ein Bett, eine Dusche und den Komfort, den er von früher gewohnt war, und er hasste es, bei Moni unterzukriechen. Gestern hatte sie wohl wieder geglaubt, er werde um einen Schlafplatz in ihrer Wohnung betteln, aber da hatte sie sich geirrt. Obwohl sie nichts anderes als eine verlogene Schlampe war, die sich für Geld von jedem bumsen ließ, glaubte sie, was Besseres zu sein. Zugegeben, sie sah nicht schlecht aus, aber wenn sie den Mund aufmachte, zeigte sich, dass sie ein Proletenweib war, vor allem, wenn sie getrunken hatte. Vor ein paar Wochen hatte sie ihn vor seinen Kumpelsim Bremslicht derart provoziert, dass er ihr eine geklebt hatte. Da hatte sie endlich die Klappe gehalten. Danach hatte er jedes Mal zugeschlagen, wenn es ihm in den Sinn kam, manchmal sogar ganz ohne Grund. Das Gefühl, Macht über jemanden zu haben, gefiel ihm.
    Robert Watkowiak bog Richtung Kurpark ab, ging an der Villa Borgnis vorbei Richtung Rathaus. Schon eine ganze Weile benutzte er das leerstehende Haus neben dem Lottoladen als gelegentlichen Unterschlupf. Der Besitzer duldete stillschweigend seine Anwesenheit. Zwar war alles voller Staub und Dreck, aber es gab Strom, und Klo und Dusche funktionierten – allemal besser, als unter einer Brücke schlafen zu müssen.
    Mit einem Seufzer ließ er sich auf der Matratze in dem Zimmer im oberen Stockwerk nieder, streifte die Schuhe von den Füßen und angelte aus seinem Rucksack eine Dose Bier, die er mit ein paar Schlucken leerte. Er rülpste laut. Dann griff er noch mal in den Rucksack und lächelte, als seine Finger das kühle Metall berührten. Der Alte hatte nicht bemerkt, dass er sie eingesteckt hatte. Die Pistole war sicher ein Vermögen wert. Echte Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg wurden zu Wahnsinnspreisen gehandelt. Und es gab Freaks, die für solche, mit denen schon mal jemand umgelegt worden war, locker noch mal das Doppelte oder Dreifache hinblätterten. Robert holte die Pistole hervor und betrachtete sie versonnen. Er hatte einfach nicht widerstehen können. Irgendwie hatte er das sichere Gefühl, dass sich in seinem Leben allmählich

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