Tiefe Wunden
fragte Pia.
Die Hausdame zuckte die Schultern.
»Ich bin davon ausgegangen, dass sie es tun würde. Sie hat zu mir gesagt, dass sie ... « Sie brach ab, schüttelte hilflos den Kopf.
»Gab es hier im Haus schon öfter Einbrüche?«
Pias Frage war Frau Multani sichtlich unangenehm.
»Der Taunusblick ist ein offenes Haus«, erwiderte sie ausweichend. »Die Bewohner können kommen und gehen, wie sie möchten. Wir haben nichts gegen Besucher, und unsere Restaurants und Veranstaltungen sind öffentlich. Eine wirkliche Kontrolle ist da schwierig.«
Pia verstand. Der Luxus der Freiheit hatte ihren Preis. Von einer Atmosphäre der Geborgenheit konnte keine Rede sein, und der hotelähnliche Charakter des Hauses öffnete kriminellen Subjekten Tür und Tor. Sie nahm sich vor, Erkundigungen über gemeldete Einbrüche und Diebstähle im Taunusblick einzuholen.
Bodenstein beorderte per Handy die Spurensicherung in die Wohnung. Dann fuhren er und Pia in Begleitung von Frau Multani wieder mit dem Aufzug hinunter ins Erdgeschoss. Die Hausdame erzählte, Anita Frings sei seit fünfzehn Jahren Bewohnerin des Hauses. »Früher hat sie gelegentlich Freunde besucht und außer Haus übernachtet«, sagte die Hausdame. »Aber das konnte sie ja schon seit längerem nicht mehr.«
»Hatte sie hier im Haus Freunde?«, wollte Pia wissen.
»Nein, nicht wirklich«, antwortete Frau Multani nach kurzem Überlegen. »Sie war zurückhaltend und blieb lieber für sich.«
Der Aufzug hielt mit einem sanften Ruck. Im Foyer trafen sie die Direktorin im Gespräch mit einer Gruppe von Geschäftsleuten an. Renate Kohlhaas schien wenig erfreut über eine erneute Begegnung mit der Kripo, entschuldigte sichaber bei ihren Besuchern und kam auf Bodenstein und Pia zu.
»Es tut mir leid, dass ich nur wenig Zeit habe«, sagte sie. »Wir haben Besuch von unserer externen Prüfstelle. Einmal jährlich gibt es eine Pflegequalitätsprüfung, um die Zertifizierung unseres Qualitätsmanagements aufrechtzuerhalten.«
»Wir stören nicht lange«, versicherte Pia. »Bei der Toten, die gefunden wurde, handelt es sich übrigens um Ihre Bewohnerin Anita Frings.«
»Ja, das habe ich schon gehört. Entsetzlich.«
Die Direktorin bemühte sich um den Eindruck angemessener Betroffenheit, aber sie war vor allem merklich verärgert über die Unannehmlichkeiten, die der Mord an einer Bewohnerin mit sich brachte. Wahrscheinlich befürchtete sie einen Imageschaden für ihre vornehme Seniorenresidenz, wenn Einzelheiten in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Sie führte Bodenstein und Pia in einen kleinen Raum hinter dem Empfang.
»Was kann ich noch für Sie tun?«, fragte sie.
»Warum haben Sie so lange mit dem Anruf bei der Polizei gewartet?«, fragte Pia. Frau Kohlhaas sah sie irritiert an.
»Ich habe gar nicht gewartet«, erwiderte sie. »Nachdem Frau Multani mich verständigt hatte, habe ich unverzüglich bei der Polizei angerufen.«
»Ihre Hausdame sagte uns, dass sie das Fehlen von Frau Frings ungefähr zwischen halb acht und acht gemeldet hat«, schaltete sich Bodenstein ein. »Wir wurden allerdings erst um zehn Uhr benachrichtigt.«
»Es war nicht halb acht oder acht«, widersprach die Direktorin. »Frau Multani sagte mir ungefähr gegen Viertel nach neun Bescheid.«
»Sind Sie sicher?« Pia war misstrauisch, konnte sich aber auch nicht erklären, welches Interesse Frau Kohlhaas daranhaben sollte, mit einem Anruf bei der Polizei zwei Stunden zu warten.
»Natürlich bin ich sicher«, entgegnete die Direktorin.
»Haben Sie schon die Angehörigen von Frau Frings benachrichtigt?«, fragte Bodenstein. Frau Kohlhaas zögerte ein paar Sekunden.
»Frau Frings hatte keine Angehörigen«, antwortete sie dann.
»Wirklich niemanden?«, hakte Pia nach. »Es muss doch irgendjemanden geben, der im Todesfall benachrichtigt werden soll. Ein Anwalt oder ein Bekannter.«
»Ich habe selbstverständlich meine Sekretärin sofort gebeten, mir die entsprechende Telefonnummer herauszusuchen«, entgegnete die Direktorin. »Aber es gibt niemanden. Tut mir leid.«
Pia ließ das Thema auf sich beruhen.
»In der Wohnung von Frau Frings fehlen nach Aussage Ihrer Hausdame verschiedene Gegenstände«, fuhr sie fort. »Wer könnte sie entwendet haben?«
»Das kann nicht stimmen!« Direktorin Kohlhaas gab sich entrüstet. »In unserem Haus wird nichts gestohlen.«
»Wer hat einen Schlüssel für die Wohnungen der Bewohner?«, fragte Pia.
»Die Bewohner selbst, die Hausdame, gelegentlich
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