Tiefe
nun, in einem sinnreich geformten Geschirr, auf das Deck der Thule hinuntergelassen. Der Kohlenrauch der Thule hüllte ihn ein. Fregattenkapitän Rake ließ sich nicht blicken. Es war Leutnant Sundfeldt, der das Manöver dirigierte. Sobald Rudin an Bord angekommen war, wurde das leere Geschirr wieder hochgezogen, und die Thule legte rückwärts ab, mit Kurs auf die Mündung von Bräviken.
Er blieb an Deck stehen und sah die Thule verschwinden. Der Rauch aus den Schornsteinen vermischte sich mit den treibenden Wolken.
Rudin ist einer furchtbaren Falle entkommen, dachte er. Schwedische Schiffe würden auf den Meeresgrund sinken, auch wenn das Land nicht in den Krieg hineingezogen werden würde. Am schlimmsten würde es die Seeleute der Handelsflotte treffen. Aber auch Kriegsschiffe würden torpediert oder von Minen gesprengt werden. Wenn Rudin nicht auf das Schiff zurückkehrte, war er der Gefahr entronnen, eines Tages in einem explodierenden Dampfkessel zu Tode gekocht zu werden. Dank eines entzündeten Blinddarms gehörte er vielleicht zu denen, die am Leben blieben.
Lars Tobiasson-Svartman spähte mit zusammengekniffenen Augen nach der Thule. Sie war nicht mehr zu sehen, das Schiff war mit der grauen Küstenlinie am Horizont verschmolzen.
Er kehrte in seine Kajüte zurück. Das Panzerschiff hatte wieder Fahrt aufgenommen.
In der Kajüte blieb er an der Tür stehen und versuchte sich vorzustellen, was seine Frau in genau diesem Augenblick machte. Aber er konnte sie nicht sehen. Er wußte nicht, womit sie sich beschäftigte, wenn sie in der Wohnung allein war. Der Gedanke gefiel ihm nicht. Es war, als hielte man eine Seekarte in der Hand und entdeckte plötzlich, daß die Schrift, die Umrisse der Inseln, die Sektionen der Leuchttürme, die Markierungen, die angegebenen Seetiefen, rasch ausgelöscht würden.
Er wollte wissen, in welchen Fahrwassern sich seine Frau bewegte, wenn er fort war.
Ich liebe sie, dachte er. Aber ich weiß nicht, was Liebe eigentlich ist.
Er setzte sich an den kleinen Tisch mit der Sturmkante und packte sein Lot aus. Das Messing glänzte.
Für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, Kristina Tacker stehe hinter seinem Rücken und beuge sich über seine Schulter vor.
»Etwas wird geschehen«, flüsterte sie. »Es gibt einen Punkt, an dem dein Lot den Meeresboden nicht erreicht. Es gibt einen Punkt, an dem alles zerbricht, mein geliebter Mann.«
Teil 2 DAS FAHRWASSER
Am Abend bevor Lars Tobiasson-Svartman seinen Auftrag in Angriff nahm, kam ein Unteroffizier mit dem Bescheid in seine Kajüte, Fregattenkapitän Rake wolle ihm die letzten Instruktionen geben.
Er schlüpfte in seine Uniformjacke und eilte die glatte Treppe hinauf. Die Mondsichel erschien zwischen den Wolken. Die Svea dümpelte nordöstlich des Leuchtturms von Häradskär in der Dünung.
Mitten auf der Treppe blieb er stehen und schaute auf das dunkle Meer hinaus, wo die Positionslichter der Kanonenboote glitzerten. Er dachte an all die Granaten, all die Torpedos da draußen. Die Schiffe waren mit der von Menschen fabrizierten Raserei beladen, die Dynamit oder Pulver hieß.
Die Beurteilung der Entfernung war auf offener See am schwierigsten vorzunehmen. Das galt jedoch nicht in der Dunkelheit. Er schätzte den Abstand zum nächstliegenden Kanonenboot auf 140 Meter, mit einer Fehlerspanne von höchstens 10 Metern.
Bevor er den Salon betrat, nahm er seine dunkelblaue Uniformmütze ab.
Rake bot ihm Kognak an. Lars Tobiasson-Svartman trank gewöhnlich keinen Alkohol, wenn er arbeitete, konnte aber auch nicht ablehnen.
Rake leerte sein Glas und sagte: »Es herrscht eine große und berechtigte Besorgnis in Stockholm. Über Funk ist die Nachricht eingetroffen, daß russische und deutsche Kriegsschiffe östlich von Gotland aufgetaucht sind. Von Kampfhandlungen war jedoch keine Rede. An der gotländischen Küste sind jetzt Männer mit gutem Gehör postiert, die Geräusche von Kanonen oder Torpedosprengungen auffangen sollen.«
»Es gibt keine größere Unruhe als jene, die man empfindet, wenn einem die Kenntnis fehlt«, erwiderte Lars Tobiasson-Svartman. »Eine Unruhe, die auf Kenntnissen beruht, ist leichter zu beherrschen.«
Rake überreichte ihm ein Papier. »Niemand weiß, ob diese Nationen die Absicht haben, Schweden anzugreifen. Wir löschen alle Leuchttürme entlang der Küste und verkriechen uns in unseren Schlupfwinkeln.«
»Gilt die Unsicherheit in erster Linie den Russen oder den Deutschen?«
»Beiden.
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