Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Man muß nicht zu den erfahrensten Offizieren des Marinestabs gehören, um das zu begreifen. Einerseits ist Deutschland ebenso interessiert daran wie Rußland, Schweden aus dem Krieg herauszuhalten. Andererseits argwöhnen vielleicht beide, daß Schweden nicht auf lange Sicht bereit ist, seine Neutralität zu behaupten. Das kann dazu führen, daß ein Staat oder beide sich darauf vorbereiten, uns anzugreifen. Als letzte Alternative gilt natürlich, daß sie uns auch in Frieden lassen können. Eine unbedeutende Nation zu sein kann sowohl Schwäche als auch Vorteil sein.«
    Lars Tobiasson-Svartman las die Liste mit den Namen der Leuchttürme durch, die gelöscht worden waren, und mit anderen wichtigen Seemarken, die entweder verdeckt oder eiligst demontiert worden waren. Er sah die Seekarten vor sich. Nachts bei totaler Dunkelheit, wäre es für ein fremdes Kriegsschiff kaum möglich, in den inneren Schären zu navigieren.
    Rake hatte eine Seekarte auf seinem Tisch ausgerollt und an allen vier Ecken mit Aschenbechern beschwert. Die Seekarte deckte das Gebiet zwischen Gotska Sandön und Gotlands Südspitze.
    Er zeigte auf einen Punkt im Meer. »Ein deutscher Konvoi mit zwei Kreuzern, einigen kleineren Zerstörern, Torpedobooten, Minensuchbooten und vermutlich auch U-Booten ist auf dem Weg nach Norden gesichtet worden. Es heißt, daß sie eine hohe Geschwindigkeit halten, im Durchschnitt 20 Knoten. Sie befanden sich auf der Höhe von Slite, als ein Fischerboot von Färösund sie entdeckte. Um vier Uhr nachmittags verschwanden sie in einem Nebelgürtel nordöstlich von Gotska Sandön. Etwa zur gleichen Zeit hatte ein anderes Fischerboot mehrere russische Schiffe entdeckt, die ebenfalls nach Norden unterwegs waren, aber auf einem östlicheren Kurs. Der Mann auf dem Fischerboot war sich über den exakten Kurs nicht sicher. Er war sich über das meiste nicht sicher. Es ist gut möglich, daß er betrunken war. Er kann sich jedoch kaum alles eingebildet haben. Nach meiner Beurteilung, die sich mit der des Marinestabs in Stockholm deckt, hatten die Konvois wohl kaum Kontakt miteinander. Wir können davon ausgehen, daß sie nicht zusammenarbeiten und unterschiedliche Absichten verfolgen. Aber welche? Gegen wen gerichtet? Wir wissen es nicht. Es können Ablenkungsmanöver sein, um Verwirrung zu stiften. Unklarheit ist auf See gefährlicher als 'an Land. Aber man hat die Leuchttürme gelöscht. Die Verantwortlichen in Stockholm wollen offenbar kein Risiko eingehen.«
    Rake hob die Flasche und sah Lars Tobiasson-Svartman fragend an. Dieser schüttelte den Kopf, bereute es aber sofort. Rake füllte sein Glas, diesmal aber nicht bis zum Rand.
    »Hat das Folgen für meinen Auftrag?«
    »Auf keine andere Art, als daß alles von nun an mit höchster Geschwindigkeit zu geschehen hat. Im Krieg kann man nicht davon ausgehen, daß es genügend Zeit gibt. Eine solche Lage ist jetzt eingetreten.«
    Das Gespräch mit Rake war vorüber. Der danten. Der Oktoberabend war kühl. Er blieb auf der Treppe stehen und lauschte. Das Meer toste in der Ferne. In der Messe hörte man jemanden lachen. Er meinte, Anders Höckerts Stimme zu erkennen.
    Er warf die Tür seiner Kajüte zu und dachte an seine Frau. Sie ging gewöhnlich früh zu Bett, wenn er fort war, das hatte sie ihm in dem Jahr ihrer Heirat geschrieben.
    Er schloß die Augen. Nach einigen Minuten gelang es ihm, ihren Duft heraufzubeschwören. Der war so stark, daß er bald die Kajüte füllte.
    Es regnete in der Nacht.
    Er schlief, das Messinglot an die Brust gedrückt. Als er kurz vor sechs aufstand, spürte er einen dumpfen Schmerz im Kopf.
    Er wollte fliehen. Zugleich war er ungeduldig, weil er noch nicht mit seinem Auftrag angefangen hatte.
    Früh in der Morgendämmerung des 22. Oktobers ging Lars Tobiasson-Svartman an Bord der Kanonenboots Blenda. 
Die Wartezeit war vorüber.
    Er wurde am Fallreep von Leutnant Jakobsson empfangen, dem Kapitän. Der Mann schielte mit dem linken Auge, hatte eine mißgebildete Hand und sprach einen ausgeprägten Göteborgsdialekt. Trotz des Schielens war sein Gesicht offen und freundlich. Lars Tobiasson-Svartman dachte füch-tig, daß er an eine der komischen Figuren aus einem Kine-matographen erinnerte. Vielleicht an einen der Polizisten auf der Jagd nach der Hauptperson, die sie nie einzufangen vermochten.
    Leutnant Jakobsson flößte ihm Vertrauen ein. Zu seiner Überraschung wurde er zur Kapitänskajüte gebracht.
    »Das ist nicht notwendig«, wandte er

Weitere Kostenlose Bücher