Tiefe
kam.
»Was für eine Überraschung?« fragte er, nachdem er ein angemessenes Schweigen gewahrt hatte.
»Daß die deutsche Marine bedeutend besser gerüstet ist, als die arroganten Engländer es sich vorstellen.«
Rakes Worte hatten einen deutlichen Nebensinn. Schweden war noch nicht in den Krieg einbezogen, aber die schwedische Flotte bereitete sich darauf vor, daß dies bald geschehen könnte. Dann sollte es auch keinen Zweifel darüber geben, wo die Sympathien des schwedischen Militärs lagen. Auch wenn die Regierung und der Reichstag Schweden als neutral erklärt hatten.
Das Gespräch verebbte.
Rake legte die Zigarre in einen schweren Aschenbecher aus Porphyr, stand auf, nahm einen Schlüssel von der Uhrkette und kniete sich vor den großen schwarzen, im Boden verschraubten Tresor.
Die geheimen Instruktionen lagen in einer einfachen Stoffmappe, zugebunden mit einem blau-gelben dünnen Seidenband. Rake übergab Lars Tobiasson-Svartman die Akte und kehrte zu seiner Zigarre zurück.
Er öffnete die Mappe. Obwohl er das Ziel seines Auftrags kannte, waren ihm die detaillierten Pläne des Marinestabs unbekannt. Er setzte sich auf seinen Stuhl, balancierte die Mappe auf den Knien und begann zu lesen.
Aus dem Augenwinkel sah er, daß Rake den Rauch seiner Zigarre beobachtete.
Das Panzerschiff vibrierte wie ein keuchendes Tier. Lars Tobiasson-Svartman verglich die verschiedenen Schiffstypen oft mit den Tieren der schwedischen Fauna. Die Torpedoboote glichen Wieseln und Iltissen, Panzerschiffe waren rasch zuschlagende Falken, Kreuzer jagten wie hungrige Wolfsrudel, große Schlachtschiffe waren einsame Bären, die sich nicht gern reizen ließen. Tiere, die in der Natur Feinde waren, konnten als Schiffssymbole dazu gebracht werden, zusammenzuarbeiten und sich sogar füreinander zu opfern.
Er las auf dem Aktendeckel, daß die Instruktionen vertraulich und ausschließlich für Kapitän Lars Svartman bestimmt waren. Sie konnten in ausgewählten Teilen kopiert werden, doch das Original sollte Rake zurückgegeben werden, ohne daß es die Kajüte verlassen hatte.
Für die schwedische Flotte existierte seine Namensänderung noch nicht, obwohl er seine Vorgesetzten, nachdem vom Königlichen Patent- und Registrierungsamt der Bescheid gekommen war, umgehend informiert hatte. An Bord dieses Schiffs und für den Marinestab war er noch immer Lars Svartman, sonst nichts.
Er las:
Ihre Aufgabe wird es sein, unverzüglich Kontrollmessungen der besonderen und vertraulichen militärischen Fahrwasser vorzunehmen, die Kalmarsund, den südlichen Teil, mit den nördlichen, mittleren und südlichen Einmündungen nach Stockholm verbinden. Besonders bedeutsam sind die Kontrollmessungen der Sunde, Durchfahrten und übrigen Einmündungen, die 1898 und 1902 im Verhältnis zu dem für jeden Schiffstyp angegebenen größtmöglichen Tiefgang beim Leuchtturm von Sandsänkan verzeichnet sind. Als Basis für die Seevermessungen dient das Panzerschiff Svea. Meßschiffe werden das Kanonenboot Blenda sowie die notwendigen Barkassen und Wachboote sein.
Auf die einleitende Instruktion folgten detaillierte Anweisungen, die genauestens befolgt werden sollten.
Er schlug die Mappe zu und verknotete das Seidenband.
»Keine Abschriften?«
»Ich denke nicht, daß ich sie brauche.«
»Sie sind noch jung«, sagte Rake und lächelte. »Alte Männer verlassen sich nicht auf ihr Gedächtnis. Junge Männer verlassen sich manchmal zu sehr darauf.«
Lars Tobiasson-Svartman erhob sich und schlug die Hacken zusammen. Es war, als gäbe er sich selbst einen Tritt. Rake machte eine Geste mit der Hand, um zu zeigen, daß Lars Tobiasson-Svartman die Stoffmappe auf den Tisch legen könne.
»Es wird einen langen Krieg geben«, sagte Rake. »Lord Kitchener vom englischen Oberkommando hat das begriffen. Ich fürchte, daß sein deutscher Gegenpart noch nicht verstanden hat, daß dieser Krieg grausamer werden wird als alle früheren in der schrecklichen Geschichte der Menschheit.«
Rake verstummte, als wären seine Gedanken zu überwältigend geworden.
Dann fuhr er fort. »Tausende Männer werden sterben. Hunderttausende, vielleicht Millionen. Es gibt Leute, die glauben, der Krieg könne bis Weihnachten beendet sein. Ich bin der Überzeugung, daß er viele Jahre währen wird. Mehr Schiffe als in irgendeinem früheren Krieg werden versenkt werden. Die Tonnagen, die gesprengt werden und untergehen, wird man eines Tages in Milliarden Tonnen zählen.«
Rake verstummte
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