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Tiefe

Tiefe

Titel: Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Marine, der mir helfen kann.«
    »Wobei?«
    »Ich brauche eine geeignete Tiefe. Ganz hier in der Nähe, wo wir den Körper versenken. Vielleicht könnten Sie auf Ihren Seekarten nachschauen?«
    »Das ist nicht nötig. Ich weiß eine Stelle.«
    Sie betraten das Deck und gingen zur Reling. Es herrschte eine eigentümliche Stille an Bord.
    Lars Tobiasson-Svartman zeigte nach Nordost. »250 zur Tiefe von Landsort. Bekanntlich ist das die tiefste Stelle in der ganzen Ostsee, gut 450 Meter. Hier beträgt die Tiefe etwa 160 Meter. Wünscht man eine größere Tiefe, muß man sich einige Seemeilen nach Norden bewegen.«
    »Das ist gut. An Land werden unsere Särge in einer Tiefe von knapp zwei Metern versenkt. Dann müßten 160 Meter im Meer mehr als genug sein.«
    Der tote Körper wurde in eine Persenning eingenäht. Als Senker wurde Eisenschrott aus dem Maschinenraum an dem Toten befestigt. Während der Körper vorbereitet wurde, beendete Leutnant Jakobsson seine Rasur.
    Das Schiff wurde nach den Anweisungen gesteuert, die Lars Tobiasson-Svartman dem Rudergänger erteilte. Ihm kam der Gedanke, daß er zum ersten Mal selbständig das Kommando über ein schwedisches Kriegsschiff führte.
    Auch wenn die Strecke nur 250 Meter betrug.
    Die Bestattung fand um halb zehn statt. Die Besatzung hatte sich auf dem Achterdeck versammelt. Der Zimmermann hatte eine Planke auf zwei Holzklötzen aufgebockt. Der Körper lag in der Persenning mit dem Fußende zur Reling. Die drei-züngige Flagge des Schiffs hing auf Halbmast.
    Leutnant Jakobsson folgte den Ritualen, die in seinen Instruktionen festgelegt waren. Er hielt ein Gesangbuch in der Hand. Die Besatzung sang murmelnd mit. Leutnant Jakobsson hatte eine starke Stimme, sang aber unsicher und falsch. Lars Tobiasson-Svartman bewegte nur die Lippen. Die Möwen, die um das Schiff kreisten, schrien mit. Nach dem Choral wurde das vorgeschriebene Gebet über den Toten gesprochen, worauf die Planke angehoben wurde und der Körper über die Reling rutschte und mit einem gedämpften Klatschen im Wasser auftraf.
    Das Nebelhorn des Schiffs tutete düster. Leutnant Jakobsson ließ die Mannschaft noch für eine Minute stillstehen. Als die Gruppe sich auflöste, war der Körper verschwunden.
    Leutnant Jakobsson lud in der Messe zu einem Glas Schnaps ein. Sie stießen an, und der Kommandant sagte: »Wie lange braucht ein Körper Ihrer Meinung nach, um da unten im Lehm oder Sand oder woraus der Boden nun besteht zur Ruhe zu kommen?«
    Lars Tobiasson-Svartman überschlug es rasch im Kopf: »Angenommen, der Körper mitsamt den Senkern wiegt 100 Kilo, und der Abstand zum Boden beträgt 160 Meter. Der Körper sollte in zwei bis drei Sekunden um einen Meter sinken. Das bedeutet, daß er ungefähr sechs Minuten braucht, um den Meeresgrund zu erreichen.«
    Leutnant Jakobsson dachte über die Antwort nach. »Das sollte reichen, damit meine Besatzung keine Angst haben muß, daß er wieder an die Oberfläche kommt. Seeleute können so verteufelt abergläubisch sein. Aber das gilt auch für Befehlshaber, wenn es zum Schlimmsten kommt.«
    Er nahm noch einen Schnaps. Lars Tobiasson-Svartman sagte nicht nein.
    »Ich werde darüber nachdenken, was die Ursache dafür war, daß er ertrunken ist«, sagte Leutnant Jakobsson. »Ich weiß, daß ich keine Antwort bekommen werde. Aber ich werde ihn nicht vergessen. Unsere Begegnung war kurz. Er lag auf dem Deck meines Schiffs unter einem grauen Stück Persenning. Dann war er wieder weg. Dennoch wird er mich für den Rest meines Lebens begleiten.«
    »Was soll mit seiner Hinterlassenschaft geschehen? Die Miniatur, das Bild von dem Hund? Sein Soldbuch?«
    »Ich schicke die Dinge zusammen mit meinem Bericht nach Stockholm. Ich nehme an, daß man sie dann nach Deutschland weiterbefördert. Früher oder später wird Frau Richter erfahren, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Ich kenne keine zivilisierte Nation, bei der die Handhabung toter Soldaten nicht einem strengen Reglement unterliegt.«
    Lars Tobiasson-Svartman stand auf, um die unterbrochene Arbeit wiederaufzunehmen.
    Leutnant Jakobsson hob die Hand zum Zeichen, daß er noch etwas zu sagen hatte. »Ich habe einen Bruder, einen Ingenieur«, sagte er. »Er hat einige Jahre auf der deutschen Flottenwerft in Kiel gearbeitet. Er hat mir erzählt, daß die Deutschen dort mit dem Gedanken an unfaßbar große Schiffe spielten. Mit einem Eigengewicht von bis zu 50000 Tonnen, wovon die Hälfte aus Panzerblechen bestehen würde. An

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